Drei Monate PJ am Manipal Teaching Hospital (Pokhara, Nepal) - Frühjahr 2020
„Wie ist es in Nepal?“
Wenn ich das gefragt werde, sage ich oft: Ich liebe es! Ich liebe die Freundlichkeit, Herzlichkeit und Offenheit, mit der die Menschen mit mir sprechen. Ich liebe den Brauch der Homestays, mit dem nepalesische Familien Fremde als ihre Gäste in den eigenen vier Wänden empfangen und bekochen. Ich liebe das gute vegetarische Essen. Ich liebe die Berge, den See und die vielen Ausflugsziele. Ich liebe das ursprüngliche Leben, das einem noch an jeder Straßenecke in Form einer Kuh oder eines Gemüsestandes begegnet. Ich liebe die vielen verschiedenen kulturellen und ethnischen Hintergründe, die verschiedenen Bergvölker, denen die Menschen hier entstammen. Und ich liebe, dass ich bei aller Verschiedenheit zu meiner Heimat, auch hier Männer und Frauen kennenlerne, die selbstbestimmt und würdevoll leben (wollen).
Kurz zu mir: Ich habe ein Austauschjahr in Kanada gemacht und nach dem Abitur zwei Jahre in Nicaragua (Mittelamerika) gelebt. Wenn ich Europa verlasse, tue ich das weniger, um im herkömmlichen Sinne zu „reisen“, sondern um für eine Weile das Leben der Einheimischen mit zu leben - in dem Rahmen wie es mir möglich ist.
Vorbereitung
Es gibt die Möglichkeit, dir mit 100€ deine Praktikumszeit komfortabel größtenteils von einem Mann namens Sushil fremdorganisieren zu lassen. Ich habe davon erst spät erfahren und es selbst organisiert, was auch kaum Aufwand war. Eine Mail an das Hotel ABC, um dir ein Zimmer reservieren zu lassen. Dann eine Bewerbung beim Krankenhaus. Dafür habe ich mir viel zu viel Mühe gegeben. Die nehmen jeden, den sie kriegen können, weil sie ja auch Geld verlangen, was allerdings im angelsächsisch geprägten Raum normal ist. Also einfach ein paar nette Zeilen auf Englisch hinzaubern und dir die benötigten Formulare von deiner Uni ausstellen lassen und fertig. Auslandskrankenversicherung und Impfungen nicht vergessen.
Wer ein bisschen Erkundungslust und eine geladene Offline-Map von Nepal mitbringt, findet Wege und Orte gut alleine, die einem sonst Sushil zeigt. Manoj, der das Hotel ABC führt ist ein angenehmer Gesprächspartner und eine gute Quelle für Informationen aller Art bezüglich Busse, lokaler Gegebenheiten, Praktikum in Manipal etc. Ich habe gerne im Hotel ABC gelebt, das atmosphärisch eher als eine Mischung zwischen Hostel mit den anderen deutschen Studierenden und einem „homestay“ mit der Familie von Manoj zu bezeichnen wäre. Man darf die Küche der Familie mitbenutzen, es gibt eine Dachterrasse zum chillen und einen hübschen Garten mitten im Zentrum von Lakeside. Und Manoj ist stets bemüht den persönlichen Kontakt aufrecht zu erhalten und einem mal in Tagen von Kulturschock-Schmerz ein paar warme Worte zu schenken.
Ich würde in jedem Fall empfehlen, dir eine nepalesische SIM anzuschaffen. Das ist günstig und erleichtert es ungemein mit Nepalis und allen im Kontakt zu bleiben etc.
Im Krankenhaus
Das Krankenhaus haben wir liebevoll „Die Mienen von Moria“ getauft, was sich vor allem auf die Architektur und die überschaubare medizinische Ausstattung bezieht. Mehr möchte ich nicht spoilern.
Chirurgisch habe ich wenig gelernt. Die Assistenzärzte haben kaum Zeit und wenn sie einem einmal etwas erklären wollen, versteht man ihr Englisch kaum. Unter den Ärzten wird meistens Nepali gesprochen. Es gibt einen großen Durchlauf an ausländischen Studierenden, die sich häufig nicht durch großes Engagement und lange Anwesenheit bekannt gemacht haben. Außerdem gibt es viele PJler der hauseigenen Universität, die den Großteil der Aufgaben erledigen. Es ist nicht so, dass man chirurgisch nichts lernen kann, aber man muss viel investieren, um dann ggf. ein bisschen machen zu können. In den OP kann man jederzeit gehen, aber am Tisch stehen nur sehr selten. Um das Assistieren konkurrieren schon die Assistenzärzte.
Nach einer Weile habe ich erkannt, welche Möglichkeiten es im ER (Emergency Room = Notaufnahme) gibt. Dieser ist noch vor einem Jahr komplett von PJlern geschmissen worden. Nun aber gibt es zwei allgemeinärztliche Fachärzte, die sich bemühen Anleitung und Struktur in die Sache zu bringen. Man versteht ihr Englisch und sie sind buchstäblich jederzeit bereit, einem Dinge zu erklären und Fragen zu beantworten. Anfangs dachte ich manchmal: „Sollten Sie nicht gerade diesen akut atemnötigen Patienten versorgen, anstatt mir dies gerade zu erklären?“ Mit der Zeit habe ich gelernt, dass Patienten in der Regel nicht sofort sterben. Überhaupt konnte ich sehen, was alles auch klappt ohne Dinge, die ich von der deutschen Patientenversorgung her als unerlässlich notwendig angesehen hatte. Andererseits habe ich auch Menschen sterben sehen, die nicht hätten sterben müssen. Ich habe gesehen, dass mit der Reanimation gewartet wurde, weil erst der Sohn seine Zustimmung geben musste. Gesehen, dass Patienten mit Stroke-Symptomatik eine Stunde auf ihr CT gewartet haben, weil die Angehörigen noch nicht bezahlt hatten. Medizinische Entscheidungen folgen einer anderen Logik in einem Land, in dem es keine öffentliche Krankenversicherung gibt und der Rechtsstaat vornehmlich auf dem Papier existiert.
In der ER habe ich mich bemüht einfach unerschrocken mitzumachen. Ich habe den Patienten geholfen, Vitalparameter erhoben, die behandelnden PJler angesprochen und mitgedacht. Das hat den Ärzten gefallen und sie haben mich ganz gut in die Patientenversorgung eingebunden. Und ich habe ein paar gute Freunde unter den PJlern „gemacht“. Ich habe Katheter und Nasensonden gelegt, BGAs abgenommen, reanimiert und Kopfwunden genäht. Zur Möglichkeit einer Intubation ist es leider nicht mehr gekommen. Zu empfehlen ist es nachmittags zu kommen, da ist mehr los. Und auch mal ein paar Nachtdienste mitmachen, so etwas sieht man so schnell nicht wieder. Überhaupt habe ich in der ER innerhalb von einer Woche so heftige Diagnosen und Ausprägungen gesehen, wie sonst im gesamten Studium nicht – Appendizitiden, täglich Strokes und MIs, offene Frakturen, BZ- und RR-Entgleisungen... Für die Menschen hier ist das Krankenhaus teuer und sie kommen häufig erst, wenn es brennt.
Dann habe ich entdeckt, dass ich ja auch mal auf die ICU gehen kann um die Patienten weiter zu verfolgen. Immer schön den Arzt dort fragen, ob man darf. Man wird kein Nein bekommen und es ist respektvoll. Außerdem ist es immer gut zu erwähnen, dass Du für so und so viele Monate da bist. Dann wissen sie, dass Du nicht einer von denen bist, die nach 2 Wochen wieder verschwunden sind.
Auch auf der ICU haben mir einige PJler viel erklärt. Die haben genau wie die Ärzte hier ein umfangreiches und fundiertes Wissen. Alle wohnen direkt bei der Klinik und verbringen sozusagen ihr Leben dort. Das sorgt nicht immer für gute Laune, aber für Zusammenhalt unter Freunden, die diese Zeit gemeinsam durchleiden.
Was du gebrauchen kannst:
- Kittel, Stethoskop, Desinfektionsmittel (unbedingt)
- Mobiles SPO2-Meter
- OP-Schuhe sind unnötig (kannst du auch dort kaufen); Kasak und OP-Hose nur, wenn du viel in den OP willst
Auf der Website vom Manipal Teaching Hospital ist ja von sogenannten Health Camps die Rede, bei denen Studierende und MedizinerInnen aus der Stadt fahren und die ländliche Bevölkerung versorgen. So etwas findet derzeit nicht mehr statt. Was es ab und zu gibt, sind eintägige Health Camps in der Stadt. Wir waren in einem Waisenheim und haben sie Kinder oberflächlich durchgecheckt. Das Hauptproblem waren Skabies. Später habe ich noch Volleyball mit den Älteren gespielt. Das war eine tolle Erfahrung.
Leben in Pokhara
Lakeside ist der eine attraktive und touristische Stadtteil von Pokhara. Man kann wunderbar am See flanieren und sich in eines der vielen hübschen Cafes oder Bars setzen (Empfehlung:
The Juicery). Es gibt eine lebendige Backpacker-Szene und abends viele Bars und Clubs mit Live-Musik (Empfehlung: UpBeat-Bar).
Es tummeln sich einige deutsche und internationale MedizinstudentInnen in Lakeside und zum Kochen hat bei dem kulinarischen Angebot kaum jemand Lust. Zwei Geheimtipps: Momos etc. bei Tara´s Restaurant, bester Dhal Bhaad von ganz Nepal bei Pokhara Thakali Kitchen. Der Movie Garden ist das schönste Open-Air-Kino, das ich je gesehen habe und spielt meist nette Mainstream-Klassiker.
Ansonsten kann man von Friseur bis Massage immer Tripadvisor.de konsultieren, um gute Qualität zu bekommen.
Ein paar Ausflüge & Aktivitäten:
- Devi´s Falls – vergiss es
- Wanderung am Begnas Lake – kann man machen
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Wanderung zur Peace Paghoda – sehr schön, vor allem der Weg hoch vom See aus
- Kanufahrt auf dem Pheewa See – wunderschön
- Zum Sonnenaufgang auf den Gipfel Sarankoth – herrlich, aber auch viele Touris
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Tandem-Paragliding Flug – fanden alle, die es gemacht haben, großartig. Zu empfehlen ist Sunrise Paragliding, die haben eine super Stimmung im Team und nötigen ihre Piloten nicht zu fliegen, wenn diese die Wetterbedingungen nicht gut finden. Ich selber habe meinen eigenen Schirm dabei gehabt. Zum Fliegen ist Nepal genial – lernen ist aber günstiger und sicherer in Europa.
- Poon-Hill-Treck: Wir haben einen dreitägigen Rundweg über Gandruk gemacht. Wunderschön. Den Poonhill-Sonnenaufgang zusammen mit 300 aufgedrehten Touristen hätte man besser durch einen eigenen ruhigeren Spot ersetzen können.
- Madi-Himal-Treck: Unglaublich schöner Wanderweg. Für alle, die nicht schon gebrechlich sind geeignet. Unbedingt bei der Jungle Embassy im Forest Camp essen – das mit Abstand beste Essen vom Treck. Auch zum Übernachten ne tolle Atmosphäre.
- Zum Wandern im Winter immer Spikes und ggf. auch Wanderstöcke mitnehmen. Kann man alles in Pokhara kaufen.
- Wild-Life im Chitwan-National-Park: tolle Tour. Wir haben Nashörner, Affen und viele bunte Vögel zu sehen bekommen. Außerdem haben die dort Elefanten wie andere Leute Autos vor dem Haus stehen.
Zu guter Letzt möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich zu Beginn auch ein paar harte Wochen hatte. Als ich kurz vor Silvester ankam, war ich noch der einzige Elective. Ich war alleine, es war kalt - auch in den Häusern. Im Krankenhaus hatten alle viel zu tun und kaum jemand Interesse an mir. Irgendein schlechtes Essen hat mir Durchfall und Erbrechen zugleich eingebrockt. Die Not im Krankenhaus hat mich wütend gemacht. Der Kulturschock hat reingehauen. All das hat sich dann ins Gegenteil umgekehrt und ich war glücklich. Daher wünsche ich dir Mut zur Herausforderung und nicht verzagen, wenn es am Anfang nicht alles rosig ist.
Meinem Aufenthalt hat letztendlich die deutsche Botschaft mit ihrem Rückholprogramm ein jähes Ende bereitet. In diesem friedlichen Land hatte ich zwar auch während Corona-Zeiten und eines kompletten Lockdowns zu keiner Zeit ein unsicheres Gefühl. Aber das M3 hat gerufen und mein Flug wäre sowieso 2 Wochen später gegangen.
Ivo van Delden
17.04.2020
Bewerbung
Einfach schreiben, die nehmen jeden, weil man bezahlen muss.