Ich reihe mich ein in die lange Liste der Lobpreisungen für den PJ-Standort Chemnitz! Zur Begrüßung erklärte man uns vollmundig, das noch nie jemand von seinem PJ in Chemnitz enttäuscht gewesen sei und am Ende verstand ich auch, warum.
Erstens: Die Wertschätzung gegenüber den Pflichtassistenten ist sehr groß. Chemnitz kämpft und bemüht sich sehr um Studenten und erhofft sich davon natürlich Verstärkung für die eigene Ärzteschaft. Das gilt für die Chefärzte, die sich Zeit nehmen, genauso wie für den Stationsalltag, in dem man gut integriert ist, keinen Blödsinn machen muss, aber viel Narrenfreiheit hat (Ausnahmen siehe unten). Und besonders seitens der Bürokratie bemüht man sich wirklich, uns das Leben leicht zu machen. Wechsel zwischen Stationen, auch kurzfristig, sind zum Beispiel überhaupt kein Problem. PJ-Tage werden meist nicht erfasst. Auch die Fortbildungen waren größtenteils sehr gut, unter anderem macht der Chefarzt der Pädiatrie jede Woche einen sehr lohnenden Ultraschallkurs. Zweitens: Die Lebensbedingungen sind großartig. Das Chemnitzer Klinikum ist angeblich das zweitgrößte Deutschlands, ich weiß nicht genau, woran die das messen, aber es ist jedenfalls sehr weitläufig. Zumindest den Gebäudeteil Küchwald fand ich auch architektonisch sehr interessant, im neueren Gebäude Flemmingstraße hat man dafür eine schöne Aussicht. Bezahlt wird man als PJler ganz gut, zu meiner Zeit gab es sogar noch die Notaufnahmendienste im Küchwald, bei denen man lernen und gut was extra verdienen konnte. Das Wohnheim ist mehr als in Ordnung, man hat mit etwas Glück einen schönen Blick aus dem Fenster vom Balkon, und stets trifft man viele Studenten aus Leipzig oder Dresden, sodass fast ein bißchen Erasmus-Atmosphäre aufkommt Die Verpflegung ist top – zu meiner Zeit konnte man noch unbegrenzt an den Kiosken des Klinikums einkaufen, und das galt auch für Kuchen, Eis, Cola, Chips, Milka-Schokolade und vieles mehr. Mittlerweile ist diese Nahrungsverwöhnung wohl auf zwölf Euro pro Tag begrenzt worden. Wundert mich nicht, kam es doch immer wieder zu Exzessen. Dennoch reichen auch 12 Euro eigentlich aus, um sich zu ernähren – und das Essen war wirklich gut.
Drittens: Die Stadt. Naja. Chemnitz ist nun keine Perle, aber soooo schlecht wie viele denken ist Chemnitz auch nicht. Vom Stadtkern ist man eh ziemlich weit entfernt (ein Bus fährt regelmäßig durch zum Klinikum), aber die Umgebung des Klinikums mit dem Küchwald ist wirklich nett und lädt zum Spazierengehen, Joggen und Radeln ein. Der Badesee ist auch sehr anständig, allerdings eher ein Fall fürs Auto. Das Erzgebirge ist sehr nah, was im Sommer für Rennradler und im Winter für Wintersportler interessant ist.
Und nun nochmal etwas differenzierter: Ich habe in Chemnitz fast die gesamte Chirurgie durchlaufen und würde dies auch jedem empfehlen, der kein spezielles Interesse an einem der chirurgischen Fächer hat. Geordnet von schlecht nach gut:
Visceralchirurgie: Hier scheiden sich die Geister an der Beurteilung des berüchtigten Professor B.-L., den man aber auf jeden Fall mal erlebt haben sollte. Vom Professor selbst halte ich eigentlich große Stücke und weiß seine Lehrbemühungen im Grunde auch sehr zu schätzen. Wenn man mit ihm zusammen in den OP geht, wird man drei Stunden lang knallhart abgefragt und lernt dabei, wenn man gut aufpasst und das Spielchen mitmacht, eine ganze Menge. Das ist wirklich ein Pluspunkt. Und wenn man ein bißchen dagegen hält und sich nicht einschüchtern lässt, kommt man auch gut mit ihm zurecht. Dennoch ist die Stimmung in der Abteilung einfach beschissen, weil der Chef seine allmorgendliche schlechte Laune an Oberärzte, Assistenten und Schwestern gleichermaßen weitergibt und letztere sich dann nicht anders zu helfen wissen, als nochmal auf den PJler einzuschimpfen. Ich habe dort Dinge im menschlichen Umgang erlebt, die ich bisher nur aus der Parodie kannte. Die Assistenten laufen herum, wie geprügelte Hunde. Wertschätzung erfährt man gar nicht, selbst gestandene Oberärzte werden gnadenlos runtergemacht. Als PJler ist man da natürlich verloren. Mehr als Haken halten tut man eigentlich auch nicht. Zwei Wochen reichen hier also vollkommen.
Gefäßchirurgie: Ist eine gemeinsame Abteilung mit der Thoraxchirurgie (siehe unten), arbeitet aber bis auf die Morgenbesprechung autonom. Der menschliche Umgang ist eher mäßig, als PJler wird man von manchen ignoriert, andere sind ganz nett. Man darf aber im OP viel machen, wenn man fragt, und der Chef ist auch sehr anständig.
Unfallchirurgie: War meine längste Zeit und sehr positiv. Auf meiner Station waren zwei Assistentinnen, mit denen man gerne zusammengearbeitet hat, auch die Visite war stets fröhlich und hat Spaß gemacht. Der Oberarzt reihte sich nahtlos in diese gute Arbeitsatmosphäre ein und bringt einem gern Dinge bei, öfter auch dieselben wieder und wieder. Der Chef ist sehr umgänglich, hat aber im OP allgemein keine Lust, viel zu erklären. Hier habe ich relativ gut zunähen gelernt, weil im OP fast immer Zeit war, den PJler das gesamte Zunähen machen zu lassen. Pluspunkt.
Thoraxchirurgie: Die beste Abteilung von allen, und da sind sich andere PJler oft ebenso einig gewesen. Sehr nette, entspannte Arbeitsatmosphäre, Oberärzte, Assistenten und Schwestern treffen sich morgens um zehn erstmal gemeinsam und in aller Ruhe zum Frühstücken, als PJler gerhört man schnell zum Team. Liegt daran, dass eigentlich pro Tag immer nur drei oder vier OPs auf dem Plan stehen, die man ganz entspannt auch vor der Zeit abarbeiten kann. Im OP durfte ich eine ganze Menge machen: Hautschnitt, Elektrokoagulieren, Kamera bedienen, Thoraxdrainagen stechen, hinterher alleine zunähen. Dabei wurde man nie gehetzt, weil auch der ewig selbe Anästhesist im Thoraxsaal ein sehr entspannter und herzlicher (aber nicht minder kompetenter) Zeitgenosse ist. Einmal kam der leitende Oberarzt auf Station zu mir und fragte mich, ob ich Zeit und Lust hätte, mit ihm drüben im anderen Klinikum zu operieren. Hatte ich, und durfte ich dann alleine als Assistent bei einer offenen Thorakotomie. Mein Mit-PJler wurde sogar einmal als Erster Operateur auf den OP-Plan geschrieben.
Das hat selbst mir, der kein größeres Interesse an Chirurgie hat, großen Spaß gemacht und ich habe kurz überlegt, ob ich nicht doch Thoraxchirurg in Chemnitz werden möchte…