Nachdem ich all die überschwänglichen Berichte auf PJ-Ranking gelesen hatte, flog ich dieses Jahr voller Erwartungen nach Neufundland. Da die Berichte versprachen hier unglaublich viel zu lernen, nahm ich die hohen Reisekosten etc (ca.2000 Euro) gerne in Kauf. Im Nachhinein kann ich die guten Bewertungen meiner Vorgänger leider nicht bestätigen.
Im Vorfeld muss man sagen, dass leider personelle Veränderungen in St. Anthony stattgefunden haben. Als wir ankamen gab es nur noch einen festangestellten Chirurgen- den Chefarzt. Dieser war zu allem Überfluss die Hälfte unseres Tertials im Urlaub, weshalb wir den Großteil der Zeit mit ständig wechselnden Ärzten zusammengearbeitet haben, die meist nicht länger als 2-3 Wochen geblieben sind. Zeitgleich waren immer 2-3 Chirurgen im Haus. Teilweise waren diese Chirurgen noch sehr jung, verstanden sich unter einander nicht und hatten oft ganz unterschiedliche Auffassungen was Behandlungsmethoden anbelangt. Lust auf uns Studenten hatten sie meistens eher nicht.
Unterricht fand nur innerhalb der ersten 3 Wochen statt, wo einer der ehemaligen Chirurgen als Locum zurückgekommen war. Bei ihm hatten wir wirklich sehr guten Unterricht und auch den ganzen Tag über egal ob auf Visite oder beim Frühstück unterrichtete er weiter. Egal ob man wollte oder nicht ;-) Außerdem nahm er sich Zeit Knoten und Nähen mit uns zu üben und wir bekamen jeden Tag Hausaufgaben auf die am nächsten Tag überprüft wurden. Auch in der folgenden Zeit nahm sich immer mal wieder ein Arzt Zeit einem etwas zu erklären, allerdings nicht mehr als in Deutschland.. Mit Sicherheit wäre dieses anders gewesen wäre der Chef die ganze Zeit dagewesen, da er sich an vielen Tagen wirklich Mühe gegeben hat und viel wert auf Untersuchungstechniken gelegt hat (digital rektale untersuchungen etc.) Da der Chefarzt leider ab Januar 2014 in den Ruhestand geht wird es so sein, dass das Krankenhaus in Zukunft so gut wie nur noch mit Gastärzten arbeiten wird.
Meine Hauptmotivation nach Kanada zu gehen war es nicht nur Haken halten zu wollen und ich freute mich darauf mögichst viel im OP machen zu dürfen ( wie es ja in den Vorgängerberichten beschrieben wurde). Der Chef selbst war auch bemüht, dass man immer etwas machen konnte und so haben wir gesaugt, getupft, koaguliert, genäht, geklammert, Inzisionen gesetzt und bei Laparoskopien die Geräte eingebracht und geführt. Außerdem durften wir Hautläsionen selbst entfernen (LA, Schneiden, Nähen). Wir durften also schon mehr als in Deutschaldn, aber auch nicht so wirklich viel. Das Ganze durfte man auch nur bei kleinen OPs, bei den großen OPs war man auch hier nur Hakenhalter und es hat keiner so wirklich mit einem gesprochen. Außerdem hätte in den Vorberichten ruhig mal erwähnt werden können, dass nicht jeden Tag operiert wird, sondern an max. 3 Tagen in der Woche und dann auch nur Max. 3 OPs an einem Tag. Auf Grund der Zahl an Op-Sälen und Anästhesisten ist dieses auch nicht anders möglich. Wir waren wirklich wenig im OP. Wenn man dann aber im OP war konnte man wenigstens immer in aller Ruhe nähen und ich habe das Nähen dort unter Aufsicht des Chefarztes wirklich gut gelernt :)
Colo- und Gastroskopien zählen hier zur Arbeit der Chirurgen, weshalb man einen Tag in der Woche im Endoskopieraum stand und zugesehen hat. Darauf hatte ich in meinem Chirurgie Tertial nicht wirklich Lust.
An vielen Tagen hat man auch einfach nichts zu tun und es sind nur 5 Patienten oder so auf Station. Besonders solche Tage empfand ich als sehr enttäuschend.
Hinzukommend nimmt das Krankenhaus zu viele Studenten an. In der Chirurgie sind eigentlich zwei Studenten eingeplant, wobei zwei eigentlich schon zu viel sind, zu unserer Zeit waren es aber drei. Außerdem waren ncoh Studenten in der Anästhesie, weshalb man keine Möglichkeit hatte auszuweichen.
Es war aber sehr interessant die Arbeit in so einer abgelegenen Region zu sehen und die Patienten waren alle unglaublich nett und Dankbar. Vor allem die Kliniktage mit dem Chef (leider in der gesamten Zeit nur 4) waren sehr lehrreich.
St.Anthony: Nun über St.Anthony muss man sich selbst ein Bild machen. Würde man sagen die Stadt wäre verschlafen würde man lügen, würde man sagen die Stadt wäre nicht verschlafen würde man aber auch lügen :-) Natürlich muss man sich umstellen, wenn man hier für einige Zeit lebt, denn hier gibt es keine Kinos, Bars oder shopping Möglichkeiten. Man ist halt, wie man vorher ja schon weiß, in der Provinz. Der große Vorteil der Stadt ist aber ihre Lage direkt am Meer und ihre unglaublich netten Bewohner- wir haben hier wirklich viele sehr schöne Tage verbracht und ich würde gern einies Tages zurückkehren.
Unterkunft: Die Unterkunft wurde vom Krankenhaus gestellt. Wir wohnten in einer sehr schönen 3erWG direkt gegenüber dem Klinikum. Die Wohnung war sehr gemütlich und mit allem ausgestattet (Herd, Ofen, Mikrowelle, Kühlschrank mit Gefrierfach, Fernseher, WLAN etc.)
Freizeit: Da man jeden Tag frühestens um 18Uhr nach Hause kommt und auch an den Wochenenden zumindest zur Visite erscheinen muss bleibt nicht viel Zeit für anderes. Dieses war mir aber schon im Vorfeld bewusst, weshalb es mich nicht weiter gestört hat. Möchte man einen Tag frei haben, um zum Beispiel für ein verlängertes Wochenende in den Nationalpark zu fahren, ist dieses überhaupt kein Problem. Darüberhinaus verleiht der Chefarzt einem für den Ausflug auch sein Auto bzw. es findet sich ein anderer Arzt der einen auf dem Ausflug dann sogar begleitet. Die Abende die wir nicht im Krankenhaus verbracht haben waren auf jeden Fall nie langweilig. St.Anthony bietet zwar nciht viele Möglichkeiten, aber die meisten Ärzte sind super nett, weshalb wir ständig irgendwo zum Essen waren, Tischtennis gespielt haben oder in illustrer Gesellschaft im Coffee shop oder Jungle jims saßen :) Außerdem läd die Landschaft (sofern es das Wetter erlaubt) zum wandern etc. ein. Oder man setzt sich abends einfach nur ans Meer, was man hier direkt vor der Haustür hat. St.Anthony verfügt über einen kleinen Fitnessraum (Gebühr 10Euro/Monat) etwa 15min Fußweg vom Wohnheim entfernt, Joggen kann man leider nur auf der Hauptstraße was bei Dunkelheit nicht wirklich zu empfehlen ist. Für Besorgungen innerhalb der Stadt kann man ein Auto vom Krankenhaus leihen, mit diesem darf man die Stadt allerdings nicht verlassen. Momentan ist das Auto aber leider defekt und man weiß noch nicht, ob es überhaupt wieder repariert wird.
FAZIT: ich habe in aller Ruhe vier Nahttechniken lernen können, interessante Einblicke in die Arbeit in so einer abgelegenen Region bekommen, tolle inspirierende Menschen getroffen, mein Englisch verbessert und sehr schöne Lnadschaften gesehen, was den Lernzuwachs anbelangt und verglichen mit meinem restlichen Chirugie- Tertial in Deutschland hat sich die Reise nach Kanada aber leider nicht gelohnt, das Tertial ist weit hinter meinen Erwartungen geblieben. Außerdem ist dieses Krankenhaus nicht für Leute geeignet die gerne viel im OP sind.
Bewerbung
ca. 1 Jahr vor Tertial Beginn direkt an Krankenhaus in St.Anthony, man bekommt dann eine Liste von Dokumenten die man einreichen muss (diverse Titer etc.), das ganze Bewerbungsverfahren hat sich leider über gut ein halbes Jahr erstreckt da die Universität in St.Johns in unserem Fall sehr langsam gearbeitet hat. hinzukommend muss man noch eine Erlaubnis zur Einreise (kein Visum!) bei der kanadischen Botschaft in Wien einholen, wofür man u.a. eine ärztliche Untersuchung (200-250Euro) vorweisen muss. die Liste der Ärzte die diese durchführen führen bekommt man von der Botschaft zugesandt.