Während meiner Zeit in Agatharied habe ich vielfältige Eindrücke - Schöne, wie auch weniger Schöne -im Bereich der Chirurgie gemacht. Ich bin von vornherein jemand, der die Chirugie durchaus mag und habe bereits zwei Famulaturen in diesem Fachbereich gemacht. Da ich die ganze Bandbreite der Chirugie erleben wollte, hatte ich mich dazu entschieden, nach Agatharied zu gehen.
Agatharied ist eine sehr schöne Klinik, die Gänge sind sehr lichtdurchflutet und man blickt in die Voralpenlandschaft. Als Pjler bekommt man eine Wohnung im Personalwohnheim nebenan umsonst gestellt ( jedoch sollte man besser so früh wie möglich mit dem Liegenschaftsverwalter in Kontakt treten). Die Wohnungen sind sehr schön, sauber, jede mit eigener Küche, eigenem Bad und schönem Blick auf Agatharied´s Wiesen und Felder. Ein W-Lan- Empfang gibt es nicht. Jeder PJler erhält Dienstkleidung umsonst, sowie einen Schlüssel für den OP-Trakt und einen Piepser. Das Essen ist kostenlos, man hat immer Zeit für ein ausgedehntes Mittagessen und sicherlich zu Recht ist die Küche preisgekrönt. Ein eigener Pjler-Raum mit Computern stand wohl mal zur Verfügung, ist jedoch wegrationalisiert worden. Das ist sicherlich jedoch verschmerzbar.
Man ist offiziell die Hälfte der Zeit auf der Unfallchirurgie und die andere Hälfte der Zeit auf der Allgemeinchirurgie eingeteilt. Auf PJler ist man an dieser Klinik nicht essentiell angewiesen. Die personelle Besetzung ist insgesamt sehr gut. Blutabnehmen und Nadellegen wird von speziellen Krankenschwestern übernommen. Das bedeutet, dass man sich als PJler sehr frei im Haus bewegen kann. Man kann sich ansehen, was man möchte und dabei mithelfen, woran man interessiert ist.
Der Tag beginnt um 7.15 Uhr mit einer raschen Morgenvisite. 30 Minuten Zeit, wie eben üblich in der Chirurgie... Keine Zeit groß zu fragen, keine Lust von Seiten der Oberärzte hier viel zu erklären. Ganz nach dem Credo: " Nur ein schlafender Patient ist ein guter Patient!"
Danach wird gefrühstückt und dann verschwinden die Oberärzte in Sprechstunden und in den OP. Auf Station fallen dann Verbandswechsel und Wundversorgung an, sowie das Messen von Venenverschlussdrücken und ziehen von Drainagen. Hier kann man sich als PJler durchaus einbringen.
Im OP sind zwar einige der OP-Schwestern sehr kritisch ( Haare lieber mit drei Mützen verstecken, damit ja kein Haar hervorschaut; Haken werden einem manchmal bewusst in die Hand geknallt und nicht wie den Assistenz-und Oberärzten normal gereicht; und nach drei Monaten Chirurgietertial immer noch die Frage: Wer ist eigentlich dieses Wesen, das hier auch noch am Tisch stehen will? Auch wenn man sich vorgestellt hat...Pjler-Schicksal eben) Manchmal geht man dann lieber gar nicht an den Tisch, weil man insbesondere in der Allgemeinchirurgie meist nur zuschauen kann, denn hier gibt es ja die Retraktoren. Die Oberärzte und Chefärzte beider Abteilungen sind jedoch sehr nett und erklären einem alles, was man wissen möchte.
Ich persönlich war sehr viel lieber in der Unfallchirurgie. Während die Allgemeinchirurgen im Team die einen oder anderen Streitigkeiten ausgetragen haben und sehr viel häufiger gestichelt wurde, waren die Unfallchirurgen einfach professioneller und waren, aber das mögen persönliche Preferenzen sein - insgesamt mehr auf meiner Wellenlänge. Hier hat man im OP auch richtig etwas zu tun und hält viel Haken, insbesondere bei Schulter und Knieoperationen.
Ich habe mehrere Wochen auch in der Notaufnahme verbracht. Hier kommen wirklich viele Notfälle an, denn Agatharied versorgt ein großes Einzugsgebiet.
Hier lernt man gut das Nähen und darf auch mal Schultern einrenken oder eine Gipsschiene machen. Leider sind die beiden Ärztinnen in der Notaufnahme sehr gestresst. Da sie keine Dienste machen, sind sie wohl ausschließlich für die Notaufnahme eingeteilt.Und offensichtlich werden Chirurgen, die nicht operieren dürfen bisweilen etwas unleidlich. Hier bin ich öfters blöd angeredet worden, die Kritik war zwar vielleicht berechtigt, aber wie überall: Der Ton macht die Musik. Die Schwestern in der Notaufnahme tauen nur langsam auf und machen sehr viel selbst. Auch wenn ich gerne gipsen gelernt hätte, war hier von Schwesternseite nur geringe Bereitschaft mir etwas zu erklären oder mich einfach auch mal machen zu lassen. Anderes Bespiel: Ich folge einer Schwester, um zu sehen wo die Sachen zum Tetanusimpfen sind und wie das funktioniert. Ich bin wirklich niemand, der den Ärzten auf Schritt und Tritt folgt, so wie es vielleicht manch einem Pjler nachgesagt wird. Diese Schwester sagt jedoch dann zu mir: " Bitte steh nicht hinter mir, sonst tritt ich noch auf dich drauf!" Okay, ich kann selber sehen, wo ich stehe... Im Vergleich zu allen anderen Tertialen, waren in Agatharied die Schwestern am wenigsten freundlich. In anderen Häusern kannten mich die Schwestern durchaus mit Namen. In Agatharied war das die Ausnahme.
So gab es insgesamt einfach einige zwischenmenschliche Stolpersteine, die das Lernen als Pjler etwas erschwert haben.
Agatharied ist schön und hat sicherlich viele Pluspunkte. Jedoch ist es für den Lerneffekt manchmal auch besser ins kalte Wasser geworfen zu werden und sich um Patienten kümmern zu müssen und Tagesaufgaben zu haben. Dann hat man das Gefühl am Abend, dass man an diesem Tag wirklich etwas geleistet hat. Das hatte ich in Agatharied eher selten. Bei Arztbriefen hieß es dann auch schon mal: Der ist zu komplex, das ist nichts für dich! VIelleicht sind vier Pjler gleichzeitig auch etwas zu viel für das Haus. Wer hier famulierte, ging dann oft ganz unter.
Insgesamt ist Agatharied ein gutes Haus, aber es gibt auch viele gute andere Häuser für das PJ, ohne Frage.