Erster Tag PJ in der allgemeinen Chirurgie in Bozen. Ich komme – noch in zivil und mit Rucksack – in die Frühbesprechung. Langsam tröpfeln die Ärzte herein, streifen mich mit einem Blick und interessieren sich nicht weiter für mich. Lediglich der Vizeprimar bemerkt das neue Gesicht und begrüßt mich kurz. Eine weitergehende Begrüßung oder Einführung gab es nicht, so dass ich in den folgenden Wochen damit beschäftig war, mich bei allen, mit denen ich zu tun hatte, einzeln vorzustellen.
Die Besprechung ist – wie alles Offizielle in der Bozner Klinik – auf Italienisch. Es empfiehlt sich sehr, entsprechende Sprachkenntnisse mitzubringen!
Offiziell sind alle Ärzte zweisprachig, inoffiziell sprechen viele sehr ungern deutsch und vermeiden es tunlichst, mit deutschen PJlern zu reden. Mit Patienten wird nach Möglichkeit in deren Muttersprache kommuniziert – oder in der Lieblingssprache des Arztes, dann meistens auf Italienisch. Oft wechselt die Sprache mitten im Dokument oder im Gespräch, was ziemlich anstrengend sein kann.
Nach der Besprechung kann man in den OP gehen und herausfinden, ob man gebraucht wird. Es gibt zwar einen OP-Plan, auf dem tauchen Studenten aber nicht auf. In der Besprechung wurde in all der Zeit kein einziges Mal das Wort an uns gerichtet. Für das OP-Programm werden meist zwei, manchmal drei oder auch gar kein Student gebraucht. In den vier Monaten waren wir zwischen 4 und zeitweise 10 Studenten…
Wer im OP keine Arbeit findet, kann in die beiden Ambulanzen gehen. Dort sitzt man, je nach Arzt und dessen Laune, nur still in der Ecke oder darf gelegentlich eine Hernie tasten. Bei den regelmäßigen Morgen- und Nachmittagsvisiten kann man mitlaufen und von Zeit zu Zeit eine Drainage ziehen. Aufnahmen laufen über die Stationsambulanz, wo man ebenfalls zuschauen kann. Im ganzen Tertial habe ich weder eine strukturierte Anamnese, noch eine körperliche Untersuchung gemacht, noch einen Arztbrief verfasst – das ist für Studenten einfach nicht vorgesehen. Zweimal in der Woche gibt es nachmittags eine kurze Röntgenbesprechung.
Was man der Abteilung vorwerfen muss ist, dass sie leider überhaupt kein Ausbildungskonzept hat. Als PJler läuft man mit, schaut zu, hält Haken. Es gibt keine Seminare, trotz einer für meine Begriffe sehr guten personellen Besetzung kaum Initiative der Ärzte und Aufmerksamkeit bekommt man vor allem dann, wenn nicht genug Studenten für den OP da sind. Fragen werden beantwortet, oft genug wurde ich aber auch einfach auf dem Gang stehen gelassen oder anderweitig abgeschüttelt. Erklären kann man diesen Umgang vielleicht am ehesten damit, dass Studenten einfach nicht als Arbeitskräfte gebraucht werden. Hier schlägt das italienische System durch, in dem Studenten (und auch Assistenzärzte) sehr lange rein theoretisch ausgebildet werden und keine Verantwortung übertragen bekommen. Man ist unwichtig und bekommt das deutlich zu spüren, eine Lehrkultur fehlt völlig.
Dabei sind etliche Ärzte im persönlichen Umgang recht angenehm. Auch das gesamte OP-Personal und die Pflegekräfte auf den Stationen waren ziemlich aufgeschlossen und freundlich.
Als Fluchtmöglichkeit boten sich mehrwöchige Rotationen auf die Gefäß- und Thoraxchirurgie und die Unfallchirurgie an. Diese konnte ich in Absprache mit den Abteilungen auch unkompliziert organisieren.
Zur Gefäß- und Thoraxchirurgie: Die studentenfreundlichste Abteilung, die ich in Bozen kennengelernt habe. Der Primar ist engagiert, die meisten Ärzte aufgeschlossen, es gibt einen organisierten Studientag. Ich habe viel im OP assistiert, es wurde viel erklärt und ich durfte hier am meisten machen.
Zur Unfallchirurgie: Die mit Abstand studentenunfreundlichste der drei Abteilungen – Allgemeinchirurgie in viel, viel schlimmer.
Fazit:
PJ in der Chirurgie in Bozen ist nichts für Leute, die sich wirklich dafür interessieren – egal ob man Chirurg werden oder einfach nur was lernen will.
Tipps:
Die Umgebung ist ein Traum für jeden Bergsportler, die Stadt ein Paradies für Shoppingqueens, Wein- und Bierliebhaber. Wohnen kann man teuer und komfortabel im Wohnheim in der Drususallee (Kontakt über die Klinik) oder sehr günstig in Mehrbettzimmern im Wohnheim der Claudiana-FH. Als Pärchen sind beide Möglichkeiten ungünstig, weil man im einen Wohnheim zwei teure Zimmer mieten muss und es im anderen geschlechtergetrennte Flure gibt. Der freie Wohnungsmarkt ist angespannt und bezahlbare Wohnungen für wenige Monate rar.
Gute, aber teure Sprachkurse gibt’s bei AlphaBeta in der Talfergasse.
In Südtirol ist nur Bozen überwiegend italienischsprachig. Es könnte sich lohnen, sich alternativ die Kliniken in Meran oder Brixen näher anzusehen.
Bewerbung
Die Bewerbung lief ca. ein Jahr im Voraus sehr unkompliziert, schnell, kompetent und freundlich über das Sekretariat der Bezirksdirektion.