Grundsätzlich ist es in Bellinzona so, dass nur die Chef-, Kader- und Oberärzte Operationen durchführen. Wenn überhaupt ein Assistenzarzt in den OP mitgehen darf, dann meist nur, um Haken zu halten und mit viel Glück am Schluss eine Naht zu machen. Es gibt nur ganz wenige Assistenten, die gut sind und dementsprechend etwas mehr machen dürfen. Fast alles, was die Assistenten hier machen dürfen wird an anderen Spitälern von Wahljahrstudenten übernommen. Die Stimmung unter den Assistenten ist dementsprechend sehr schlecht und der Konkurrenzkampf unter den Assistenzärzten gross. Jeder versucht, möglichst viel in den OP zu kommen, um irgendwann vielleicht doch mal selbst was machen zu können und auch um möglichst wenig Stationsarbeit erledigen zu müssen. Man scheut sich hier nicht, die Drecksarbeit den Assistentenkollegen resp. Wahljahrstudenten zu überlassen. Als Wahljahrstudent gibt es dementsprechend im OP nichts zu holen. Man darf zwar jederzeit zugucken, dies jedoch unsteril und mit mehreren Metern Entfernung vom Tisch. Man wird dabei ignoriert und erklärt wird einem hierbei meist gar nichts, Fragen werden kurz und knapp beantwortet. Einen Dokumentarfilm zu Hause auf dem Sofa anzuschauen - selbst ohne Ton - wäre spannender. 2x konnte ich insgesamt während meiner Praktikumszeit steril am Tisch sein und Haken halten, wovon 1x ausgeliehen an die Ophthalmologen, weil keiner der Assistenten Lust hatte und 1x mit den Gefässchirurgen.
Auf Station geht es darum, die elektiven Eintritte zu erledigen, da diese die Assistenten nicht mögen. Es kommt durchaus vor, dass man Aufträge bekommt während die Assistenzärzte in die Cafeteria rauchen und Kaffee trinken gehen. Im Umgang mit der Pflege sind die meisten anständig und freundlich, einige jedoch barsch, arrogant, launisch und frech. Die Pflege hingegen ist trotzdem erstaunlich hilfsbereit. Auf Chefvisite (der Chefarzt gibt sich verhältnismässig viel Mühe) gibt es teils sogar etwas Bedside Teaching explizit für Studenten.
Auf dem Notfall wo es einige hervorragend nette Assistenten gibt, darf man mit etwas Glück eigene Patienten untersuchen (primär die einfachen!) und auch mal chirurgische Wundversorgungen vornehmen. Während meiner Zeit in Bellinzona war der Notfall die abwechslungsreichste und auf einem tiefen Niveau lehrreichste Zeit.
Als Wahljahrstudent ist man primär mit den Assistenzärzten unterwegs und bei denen ist das Ansehen nicht sonderlich gross. Gewisse Assistenzärzte löschen auch mal ganze Austrittsberichte ohne sie zu lesen mit der Bemerkung, sie könnten das selber sowieso viel besser.
Mehrmals pro Woche gibt es kurze Vorträge von Assistenten oder Videokonferenzen mit anderen Spitälern der Region.
Die Region um Bellinzona wäre eigentlich ganz schön, bei den langen Arbeitstagen hat man jedoch nicht wirklich was davon. Einer der wenigen Vorteile hier ist, dass es als Wahljahrstudent keine Wochenend- und Nachtdienste zu absolvieren gibt. Glücklicherweise habe ich nicht im Personalwohnhaus gewohnt, angeblich gibt es dort zum monatlichen Mietpreis von circa 350€ kein Internet und keine Küche.
Ich wiederhole: Nicht zu empfehlen !!
Bewerbung
Bewerbung ein halbes Jahr im Voraus auf Italienisch. Wenig empfehlenswert hier zu arbeiten, wenn man die Sprache nur schlecht kann. Viele Ärzte sprechen zwar auch ein wenig Deutsch, die Hauptsprache im Alltag ist jedoch klar Italienisch und auf fehlende Sprachkenntnisse wird kaum Rücksicht genommen.
