Zu aller erst: Das Tertial in der Schweiz war das beste und lehrreichste meines ganzen Praktischen Jahrs.
Trotz anfänglicher Zweifel, ob ich den Herausforderungen als Unterassistent (UA), dem Pendant zum deutschen PJler in der Anästhesie gewachsen sein werde, zum Trotz, bewarb ich mich in Baden aufgrund der guten Bewertungen und der guten Einarbeitungsphase. Meine hohen Erwartungen wurden nicht enttäuscht und so wurde mir, der vorab keine Famulatur in der Anästhesie gemacht hatte, innerhalb von 15 Tagen (5 Tage mit der Pflege und 10 Tage mit einem erfahrenen Assistenzarzt) die Grundlagen der Narkoseführung beigebracht. SOPs (Standard Operating Procedures) und Notfallverfahren, die ich zur Lektüre erhielt, ermöglichten es mir, mich schnell in den Arbeitsalltag einzufinden. Eine Checkliste zur Einarbeitung stellte sicher, dass ich vor meiner ersten Narkose, alles wichtige gelernt habe, was ich als ein sehr hilfreiches Instrument erlebte.
Nach der Einarbeitung fühlte ich mich gut gewapnet, sah aber dennoch mit großer Aufregung meiner ersten "eigenen Narkose" entgegen.
Die herausragende Betreuung durch Oberärzte, die bei Ein- und Ausleitung immer im Saal sind, sowie die Option per eigenem Telefon jederzeit Hilfe anzufordern oder Fragen an einen der OÄ zu richten, vermittelten Sicherheit und führten zu einer sehr steilen Lernkurve. Gerne nahm ich das Feedback der erfahrenen PflegerInnen und ÄrzteInnen an, so dass ich schnell und merklich an Sicherheit gewann. Das Privileg, eigenständig und -verantwortlich zu arbeiten, ohne "fertiger Arzt" zu sein, dies war der Hauptbeweggrund für mich in die Schweiz zu gehen und es hat sich sehr gelohnt.
Die technische Ausstattung in Baden ist hochmodern und die blau-verglasten und mit Radio ausgestatteten OP-Säle, die nur mit Einmalkleidung betreten werden, stellen gerade im Vergleich zu deutschen OP-Trakten einen deutlichen Kontrast dar und bieten eine Arbeitsumgebung in der man sich gerne aufhält.
Sicherlich wo Licht ist, ist auch Schatten und so möchte ich nicht verschweigen, dass die Arbeitstage lang und häufig anstrengend gewesen sind, doch dies ließ sich durch den anfänglichen Lernboost gut aushalten. Die Lehre war leider sehr schwankend und abhängig vom Vortragenden, doch das ist ein globales Problem. Einmal pro Woche wurde eine Vorlesung für alle MitarbeiterInnen der Anästhesie abgehalten, diese war durchwegs sehr interessant und ein Highlight der Woche.
Ein klare Nachteil in der Schweiz ist auch, dass Anästhesie und Intensivmedizin zwei eigenständige Fachgebiete darstellen, so dass entweder das Tertial gesplittet werden muss oder - so wie ich es vorgezogen habe - auf die Intensivmedizin verzichtet wird. Dies ließ sich jedoch gut für die Prüfung durch Buchwissen kompensieren, obwohl ich sogar einen Intensivpatienten in der Prüfung hatte.
Im Vergleich zu meinen Kommilitonen die das PJ an vergleichbar großen Häusern in Deutschland absolvierten, erkannte ich, dass ich wenig komplexe Anästhesie gesehen habe, was naturgemäß an der Tatsache liegt, dass man die Narkosen eigenständig durchführt und nicht in wenigen Wochen ausreichend Expertise erwerben kann, um komplexe Narkosen zu führen. In puncto Wissenserwerb zeigte sich im Vergleich zu den deutschen PJlern häufig, dass durch die tatsächliche Durchführung der Aufklärung in der Prämedikationsambulanz und Narkoseführung (sowohl LAMA, als auch Intubationsnarkose als auch Spinalanästhesie) im OP die Abläufe bei mir besser durchdacht waren als bei den deutschen MitPJlern, was gerade in der mündlich-praktischen Prüfung ein Vorteil sein kann.
Mein FAZIT in Stichpunkten:
Pro:
- super Einarbeitung
- eigenständiges Arbeiten möglich unter bestmöglicher Betreeung
- Oberarzt innerhalb weniger Minuten im Saal bei Fragen oder Komplikationen
- eigenes Telefon zur direkten Kontaktaufnahme mit OA
- gute Lernatmosphäre und neuste technische Ausstattung der OP-Säle (BIS, TOF, etc in allen Sälen Standard)
- sehr moderner OP-Trakt (zählt zu einem der modernsten Europas)
- respektvolle Zusammenarbeit mit den OP-Schwestern und den Chirurgen (ganz anders als in Deutschland)
- viele deutsche Ärzte und Pfleger (bei Sprachproblemen evtl. hilfreich)
- kleines Team und enger und offener Kontakt zu allen möglich
- Teilnahme an Simulationstraining zukünftig evtl. möglich
- Frühstückspause mit Gratisbilchermüsli und Brot fast immer möglich
- Mittagspause 1h immer möglich
- Narkosen finden im Wechsel mit der Pflege statt (pro Saal 1 Arzt/UA + 1 Pflegekraft), so dass ausreichend Zeit bleibt, die nächste Narkose vorzubereiten
Contra:
- Lange Arbeitstage
- qualitativ fluktuierende Fortbildungen (da größtenteils von Assistenzärzten durchgeführt)
- nur ASA1/2-Patienten, ergo wenig komplexe Anästhesien - Nachteil gerade im Vergleich zu Kommilitonen, die in Deutschland PJ-gemacht haben und mehr Verfahren gesehen haben, jedoch diese nicht selbst durchführten und damit u.u. weniger profitiert haben
- keine Intensivrotation möglich
- keine Hospitation im Rettungsdienst/Notarzt möglich
Bewerbung
Ich habe mich 1.5 Jahre vorher beworben. Einfach eine Mail mit Lebenslauf und Anschreiben ans Sekreteriat. Leider war mein Wunschtertial nicht mehr frei, doch ich konnte für ein anderes kommen. Früh bewerben lohnt sich - am besten wohl 2 Jahre vorher. Eintritt zum Tertialstart war möglich, was nicht der Regel in der Schweiz entspricht. Teilweise werden Plätze nur zum 1. des Monats vergeben.