Nachdem ich in Deutschland das Staatsexamen hinter mich gebracht hatte, entschloss ich mich zusammen mit meiner Lebenspartnerin 4 Monate meines (Klinisch) Praktischen Jahrs (K)PJ im Landesklinikum Lilienfeld in der chirurgischen Abteilung zu verbringen. Ich würde jedem, der sich für die Chirurgie interessiert bzw. sich einen grundlegenden Einblick in das Fachgebiet verschaffen möchte, empfehlen, ein Tertial in diesem Krankenhaus in Erwägung zu ziehen. Viele (v.a. schlechte) Erfahrung, die ich zuvor in der Chirurgie gesammelt habe, konnte ich hier noch einmal revidieren. Genervte und studentenhassende OP-Schwestern? Fehlanzeige! Chef- und Oberärzte für die Studenten nicht existieren bzw. nur überflüssig sind? Gibt es nicht! Das Gefühl nichts zu können und eigentlich nur zu stören? Nicht in Lilienfeld. Man wird freudig empfangen und alle (!) freuen sich, dass sie von uns unterstützt werden. Als ländliches Krankenhaus ist die Personaldecke nicht besonders dick, daher sind (K)PJler sehr willkommen.
Das Haus ist ein kleines und ländliches Krankenhaus, nichtsdestotrotz aber ziemlich gut aufgestellt. Die Chirurgie hat zwei Stationen + eine Tagesklinische Station und zwei nagelneue OP-Säle zur Verfügung. Schwerpunktmäßig wird in einem Saal Unfallchirurgisch gearbeitet (meist elektive Operationen wie atroskopische Eingriffe an Knie und Schulter, ab und an jedoch auch Hüft-TEPs oder Verplattung von Brüchen usw.) und im anderen Saal sind die Viszeralchirurgen am Werk (v.a. Varizen-OPs, Hernien (offen und laparoskopisch), Blinddarm-OPs und ab und an auch große OPs wie Sigmaresektionen o.ä.). Man kommt somit mit vielen Patienten in Kontakt, sieht viele Standard-OPs aber auch größere OPs sind keine Seltenheit. In der Ambulanz schlägt die ganze Bandbreit des chirurgischen Patienten auf, viele (eher kleinere) Unfälle, unklare Bauchschmerzen usw. Größere oder sehr komplexe Fälle werden ins Schwester-Klinikum St. Pölten überwiesen. In Lilienfeld kann man auf jeden Fall vieles grundlegende in der Chirurgie erlernen und eine Menge Dinge mitnehmen, die man als junger Assistenzarzt später braucht.
Nun einmal zu den organisatorischen Aspekten. Die Bewerbung funktioniert sehr einfach; man kann sich entweder direkt beim Primar Dr. Reiner per E-Mail oder über die Kontaktdaten auf der Website bewerben und wird dann durch den Prozess der Bewerbung geführt. Eine Unterkunft wird vom Klinikum nahezu unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Wir wurden in einer eigenen Wohnung mit eigener Waschmaschine in der Nähe des Stifts Lilienfeld untergebracht; in Zukunft sollen wohl aber auch noch eigene Apartments auf dem Klinikgelände bereitstehen. Für seine Mitarbeit wird man mit 650€,- pro Monat entlohnt. Kleidung wird in doppelter Ausführung gestellt. Ein (wohlgemerkt leckeres) Mittagessen pro Tag inklusive Getränk und Nachspeise ist darüber hinaus kostenlos. Außerdem wird man über das Krankenhaus kostenlos krankenversichert. Die Wochenarbeitszeit beträgt 35h und man hat i.d.R. einen Tag die Woche frei. Überstunden, die in der Chirurgie häufiger vorkommen, können abgebummelt werden oder gegen freie Tage eingetauscht werden. Ist an einem Tag mal nicht besonders viel los, kann man meist auch früher gehen. Die Dienstplaneinteilung wird je nach den personellen Bedürfnissen des OP-Programms vorgenommen; eigene Wünsche werden jedoch zu allermeist mit eingeplant (z.B. wenn man sich ein langes Wochenende zum Skifahren o.ä. wünscht). Die planmäßige Länge der Schichten variiert zwischen 6h-12h, meistens jedoch 10h oder 6h. Dienstbeginn ist um 7:10, Dienstende zwischen 13:10 – 19:10.
Nun zum Tagesablauf. Dienstbeginn ist wie gesagt um 7:10. Der Tag beginnt mit der Morgen-/Röntgenbesprechung. Hier erfährt man auch, wo man für diesen Tag eingeteilt ist. Ansonsten werden die Aufnahmen und Operationen des Vortags besprochen. Dann ist man entweder zur Assistenz im OP oder zur Unterstützung auf Station/Visite und anschließend in der Ambulanz eingeteilt, bzw. das kann sich auch vermischen.
Im OP ist man zu allermeist als 1. Assistenz (!) eingeteilt und hat dementsprechend auch einiges zu tun. Nur bei großen, komplizierten OPs ist man mal 2. Assistenz. Innerhalb kurzer Zeit lernt man, wie man sich korrekt im OP verhält, welche Vor- und Nachbereitung für ein OP vonnöten ist und all der Kleinkram, der noch so ansteht. Dank der freundlichen Unterstützung der lieben OP-Schwestern und -Pflegern kann man sich anfangs noch so ungeschickt anstellen; irgendwie wird man doch zur echten Hilfe im OP. Als 1. Assistent darf man ja nach Zeitplan und Laune des Operateurs viele Dinge selbst machen. Über das Hackenhalten hinaus darf man z.B. Trokare stechen, die Kamera bei laparoskopischen Eingriffen führen, Knüpfen, Nähen, Krampfadern ziehen usw. Dann wird meistens auch noch viel erklärt und gefragt; doch man wird nie in Verlegenheit gebracht. Ansonsten kann man auch in die OP-nahen Gebiete wie z.B. in die Anästhesie reinschnuppern bzw. die Ärzte belagern.
Ist man für die Station bzw. die Ambulanz eingeteilt, geht man bei der Visite mit, untersucht Patienten, schreibt Arzt- und Entlassungsbriefe und macht sonst noch Kleinigkeiten, die anfallen. Blutabnahme und Zugänge legen wird i.d.R. von den Schwestern übernommen, nur bei besonders schwierigen Kandidaten darf (muss) man ran. In der Ambulanz darf man selbstständig Patienten befragen und untersuchen, kann Röntgenuntersuchungen anordnen und mit den Ärzten das weitere Procedere besprechen. Ab und an darf man natürlich auch mal eine Wunde vernähen oder beim Anlegen eines Gipses helfen. Und natürlich spielen die Oberärzte mit einem häufig das Spiel: Wo auf dem Röntgenbild ist der Bruch? Oft darf man auch Aufklärungen für geplante OPs machen. Insgesamt hat man immer was zu tun und auch der Lerneffekt ist nicht zu klein. Gab es nichts zu tun oder wollten die Ärzte eine Pause, ging man zusammen im Pausenraum bei guter Aussicht auf das Tal einen Kaffe trinken.
Ab und an ist man auch für die Endoskopie eingeteilt, hier darf man aktiv mituntersuchen, den Patienten vorbereiten, selbstständig Medikamente aufziehen und nach Rücksprache mit dem Arzt auch spritzen, anschließend die Dokumentation übernehmen usw.
Alles in allem war es ein sehr lehrreiches Tertial, ich hatte sehr viel Spaß, durfte viel am Patienten arbeiten und hatte das erste Mal in meiner medizinischen Laufbahn Spaß an der Arbeit im OP. Ein wirklicher Pluspunkt ist das sehr liebe Personal, vom Chef bis zur Reinigungskraft, ich habe nur nette Menschen getroffen und alle waren gewillt mir etwas beizubringen.
Nun noch etwas zum Ort Lilienfeld. Es ist ein kleiner Ort und ich würde eher empfehlen mit eigenem Auto anzureisen (obwohl auch Bus und Bahn hier gut funktionieren und nicht all zu teuer sind). Freizeitmäßig ist es abgesehen vom Naturerleben wie Wandern oder im Winter Skifahren doch eher bescheiden, doch für uns hat es völlig ausgereicht. Möchte man mehr Kultur oder Aktion kann man in 30 Minuten in St. Pölten oder in 1,5h in Wien sein. Das nächste Skigebiet ist mit dem Auto 30 Minuten entfernt. Wandern, ob im Sommer oder Winter, kann man eigentlich direkt hinter dem Klinikum, rauf auf die Lilienfelder Hütte mit toller Aussichten. Kultureller Mittelpunkt ist in Lilienfeld auf jeden Fall der Stift Lilienfeld, mit einigen tollen Veranstaltungen (Weihnachtsmarkt, Konzerte usw.), der einen Besuch und eine Führung auf jeden Fall lohnt.
Alles in allem war es ein tolles und äußerst lehrreiches Tertial, in dem ich viele tolle Menschen und tolle Ärzte getroffen habe und welches ich nicht missen will!
Bewerbung
1 Jahr, aber man freut sich auch über kurzfristige Anfragen