PJ-Tertial Allgemeinmedizin in Praxis (8/2007 bis 12/2007)

Station(en)
Allgemeinarztpraxis Dr. Machens
Einsatzbereiche
Diagnostik
Heimatuni
LMU Muenchen
Kommentar
Erfahrungsbericht:Praktisches Jahr in einer Allgemeinpraxis
Mit gemischten Gefühlen erwartete ich den Beginn des Praktischen Jahres. Natürlich freute ich mich darauf, endlich nicht mehr nur „die Studentin“ zu sein. Endlich nicht mehr den Klinikärzten lästig „im Weg herumzustehen“, um ab und zu etwas erklärt zu bekommen. Dazu bleibt in der Uniklinik bekanntermaßen wenig Zeit.
Im PJ wird man schon ernster genommen. Das sollte auch so sein. Schließlich hat man sein Studium abgeschlossen. Ein schönes Gefühl: „scheinfrei“ und „nur“ noch ein Examen von der Approbation entfernt - auch wenn man auf dem Papier noch Studentenstatus hat. Jetzt konnte ich auch ärztliche Aufgaben übernehmen.
Das PJ hat mehr Ähnlichkeit mit dem Arbeits- als mit dem Studentenleben. Ich habe einen geregelten achtstündigen Arbeitstag, keine Klausuren und Vorlesungen mehr. Schnell habe ich gemerkt, daß Arbeiten etwas ganz anderes als Studieren ist. Einerseits anstrengender, da ich viel weniger Möglichkeiten zur selbstständigen Zeit- und Arbeitseinteilung als im Studium habe. Andererseits ist es natürlich auch viel spannender. Insbesondere, wenn man wie ich ein Tertial seines Praktischen Jahres in einer Allgemeinarztpraxis gemacht hat. Jeden Tag begegneten mir sehr viele völlig unterschiedliche Menschen im Alter zwischen 0 und 100 Jahren mit den verschiedensten Krankheitsbildern. Meine geistige Flexibilität war durchaus gefordert, als ich innerhalb kürzester Zeit erst die Wurminfektion und die Dellwarzen eines Zweijährigen behandelte, mich anschließend damit befassen sollte, ob die Gastritis einer gestressten Pubertierenden somatischer oder psychischer Genese war und mich dann dem neu aufgetretenen Systolikum eines 80jährigen Diabetikers mit rheumatoider Arthritis und chronischen Durchfällen zuwendete. Aber genau das macht das PJ auch so interessant und unterscheidet es vom trockenen Durcharbeiten eines in Kapitel gegliederten Lehrbuches.

Im Studium hat man vor allem gelernt, gewisse Symptome einer bestimmten Krankheit zuzuordnen. In der Praxis hingegen hatte ich häufig mit multimorbiden, depressiven älteren Menschen zu tun, die untypische Symptome zeigten.
So merkte ich, dass ich neben fundierten medizinischen Fachkenntnissen auch Menschenkenntnis und Sensibilität brauchte. Es gelang mir immer besser, die Patienten, die vor Allem eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wollten, zu erkennen. Daneben lernte ich Menschen kennen, die ihre Beschwerden oder körperlichen Veränderungen stark herunterspielten. Sie hatten Angst, vielleicht mit einer schlimmen Krankheit konfrontiert zu werden. Das Verhalten dieser Patienten war nicht einfach zu deuten. Eine andere Schwierigkeit bestand für mich darin, das teilweise unverständliche und unvernünftige Verhalten von Patienten nicht abzuwerten. Immer wieder erschien mir unbegreiflich, daß Patienten trotz dringender Indikation bestimmte diagnostische Maßnahmen verweigerten. Es fiel mir z.B. schwer, zu akzeptieren, wenn ein Patient trotz dringendem Anraten nach einer Tumorresektion jegliche Nachbehandlung - in Form einer Radiochemotherapie - ablehnte.
Andererseits sah ich dann Patienten, die trotz Verweigerung zehn Jahre nach einer operativen Tumorresektion als geheilt galten. Diese Fälle konnte mir bisher kein Lehrbuch bieten. Derartige Erfahrungen haben mir zu differenzierterem Denken verholfen und lassen mich inzwischen Patientenentscheidungen, die vom derzeitigen wissenschaftlichen Konsens abweichen, besser akzeptieren.

Frisch von der Universität kommend habe ich bei paroxysmalen Tachykardien, Schweißausbrüchen und Hypertonie gerne zuerst an Phäochromozytom oder Hyperthyreose gedacht. Tatsächlich aber kamen Angststörungen und Panikattacken in der Praxis viel häufiger vor. Ich habe begonnen, neben dem physischen auch das psychische Erscheinungsbild des Patienten in die Hypothesenbildung einzubeziehen. Entscheidende Bedeutung zur Einordnung von Symptomen und zur Einschätzung des Schweregrads einer Erkrankung hat der langjährige Kontakt des Arztes zum Patienten. In der Praxis bekam ich allmählich ein Gefühl dafür, wann eher ein abwartendes Offenlassen und wann ein sofortiges Eingreifen angezeigt war.

„Den Patienten“ habe ich in der Praxis nicht nur als „eine Krankheit“ erlebt, wie es in der Klinik häufig war. Dort wurde der Patient zum Beispiel als „Die Lungenembolie auf Zimmer 5“ bezeichnet. Dabei konnte schnell in Vergessenheit geraten, daß hinter „der Lungenembolie“ ein ganzer Mensch mit Gefühlen, Ängsten und einer sozialen Bindung steckte.
In der Praxis habe ich neben der Krankheit einen Menschen mit seinen Emotionen und seinen sozialen Hintergründen gesehen. Häufig sind alle Angehörigen einer Familie bei demselben Allgemeinarzt in Behandlung. Ich erinnere mich zum Beispiel gut an einen alten verwirrten Mann, der in einer Klinik wahrscheinlich kaum sehr ernst genommen worden wäre. Als ich in der Praxis seine liebevoll besorgten Kinder und Enkelkinder kennen lernte und erfuhr, dass er früher ein erfolgreicher Topmanager bei BMW war, habe ich ihn völlig anders erlebt.
Durch den längeren und viel persönlicheren Kontakt zum Patienten in der Praxis sind mir manche Situationen näher gegangen als in der Klinik. Ich spürte ein Gefühl der Hilflosigkeit, als sich herausstellte, daß eine junge Mutter mit der Verdachtsdiagnose einer Bursitis in Wirklichkeit unter Knochenschmerzen bei metastasiertem Mammakarzinom litt. Eine infauste Prognose und kleine Kinder zu Hause – das sind Dinge, die man im Lehrbuch nicht findet. Einem jungen Menschen eine derartige Diagnose mitzuteilen, wird wohl immer eine sehr schwierige Aufgabe für einen Arzt bleiben. Als junge angehende Ärztin muss ich lernen, mit derartigen Situationen umzugehen. Ich fühlte mich befangen und war nicht ganz sicher, ob ich das richtige Maß an Empathie und Distanz der Patientin gegenüber gefunden hatte. Unter Tränen erzählte die Patientin, wie schlimm ihre unerträglichen Schmerzen für ihre kleinen Kinder waren. Damit war ich während des Studiums kaum konfrontiert. Dennoch ist das unvermeidlicher ärztlicher Alltag - auch wenn es in der Allgemeinarztpraxis deutlicher hervortritt als in großen anonymisierten Kliniken.
Wenn die junge Mutter mit dem Mamma-Karzinom dann in die Klinik eingewiesen wird, stellt man sie bei der Frühbesprechung wie folgt vor:„ Ein Neuzugang: ein metastasiertes Mamma-Karzinom zur palliativen Chemotherapie“. Ich glaube diesen Satz betrachte ich mit anderen Augen, seit ich eine solche Patientin im PJ von der Praxis aus mitbetreut habe. In der Klinik habe ich Patienten nie so persönlich erlebt, als ich einmal pro Tag fünf Minuten mit den Ärzten das Patientenzimmer betrat und der Patient kurz und nüchtern über das weitere Procedere aufgeklärt wurde.
Diese Erfahrung, über einen Zeitraum Patienten in ihrem sozialen Umfeld mit ihren Schicksalen, ihren Gefühlen und Ängsten als ganzheitliche Menschen mitbetreut zu haben, möchte ich nicht missen. Sie lässt mich vieles, was ich Lehrbüchern gelesen und in der Klinik gesehen habe, aus einem anderen Blickwinkel betrachten und stellt so eine wesentliche Abrundung meiner ärztlichen Ausbildung dar.
Unterricht
Kein Unterricht
Tätigkeiten
Briefe schreiben
Braunülen legen
Blut abnehmen
Patienten untersuchen
Rehas anmelden
EKGs
Untersuchungen anmelden
Eigene Patienten betreuen
Patienten aufnehmen
Dienstbeginn
7:00 bis 8:00 Uhr
Dienstende
15:00 bis 16:00 Uhr
Studientage
1x / Woche frei
Tätigkeiten
Aufwandsentschädigung / Gehalt
Essen frei / billiger
Mittagessen regelmässig möglich

Noten

Team/Station
1
Kontakt zur Pflege
1
Ansehen des PJlers
1
Klinik insgesamt
1
Unterricht
1
Betreuung
1
Freizeit
1
Station / Einrichtung
1
Gesamtnote
1

Durchschnitt 1