Das Tertial in Frutigen war mein drittes, letztes und bestes Tertial.
Nach 8 Monaten war ich schon ziemlich PJ müde und Chirurgie war auch nicht gerade meine grosse Leidenschaft.
Ich kam also in Frutigen an mit gemischten Gefühlen und relativ wenig Motivation.
Direkt am ersten Tag dann aber die Überraschung, das Arbeiten ist wirklich völlig selbstständig man ist komplett autonom in der Arbeitseinteilung und alle Operateure sind nett, freundlich, zuvorkommend, maximal hilfs- und teachingbereit, verzeihend und entspannt. Ja, sogar die Orthopäden. Das ist selbst für die Schweiz nicht selbstverständlich. Ich wusste ja von den vorangegangenen Bewertungen, dass das Tertial sehr gut zu sein scheint. Nach dem ersten Tag waren jedoch alle meine Erwartungen weit übertroffen.
Was heisst das also genau; nach dem Morgenrapport gehen alle chirurgischen UHUs zusammen auf den Notfall und überlegen sich völlig eigenständig den Tagesablauf. Es gibt eine Liste mit den Operationen für den Tag, diese muss besetzt sein. Wer Lust hat auf OP der geht und wer nicht macht halt etwas anderes, das hat im kompletten Tertial immer reibungslos funktioniert. Die anderen Aufgaben umfassen z.B das Vorbereiten der Ambulatoriumspatienten für den Nachmittag, das Ausfüllen verschiedener Anträge und Zeugnisse oder halt frei. Der wirklich interessante Knackpunkt ist, dass wenn man möchte man den kompletten Tag auf dem Notfall verbringen darf und zwar in nahezu vollständiger Assistenzarztfunktion. Von der Aufnahme zur Vorstellung beim leitenten Arzt oder Chefarzt über Behandlung und Entlassung mit Brief darf man alles selbstständig machen.
Am Nachmittag betreut man selbstständig die Ambulatoriumspatienten. Das heisst, man untersucht den Patient eigenständig stellt ihn dann dem betreuenden Arzt vor geht mit ihm nochmals zum Patient und setzt den die angeordnete Therapie in die Tat um, dies umfasst vor allem Wundversorgung, also auch selbst und alleine Nähen, Verbände, Gipsen, Fädenziehen etc.. Um 16 Uhr geht man meist heim, oft auch deutlich früher wenn viele UHUs und wenig Patienten da sind. Manchmal später, dann aber nur weil irgendwas spannendes war was man selbst unbedingt noch sehen wollte.
Im OP herrscht ein unfassbar angenehmes Klima, Nähen ist nahezu immer möglich und gewollt, kleine Eingriffe (z.B Lipomexzision) macht man unter Anleitung fast eigenständig, bisschen spannendere Sachen wie Bohren, Schrauben etc. gehe auch fast immer. Das komplette Team ist einfach nur fantastisch, man fühlt sich wertgeschätzt und es herrscht eine super Teachingatmosphäre.
Fortbildung gibt es regelmässig in allen Formen. Vor dem Tertial hatte ich keine Ahnung von Ortho und erst recht nicht von den entsprechenden Röntgenbefunden, nach dem Tertial konnte ich die Themen so gut, dass ich sie fürs M3 Lernen überspringen konnte.
Die UHUs machen die Dienste, also auch Rufbereitschaft für Nachtdienste. Ich kann jedoch an einer Hand abzählen wie oft mein Telefon in der Nacht geklingelt hat in 4 Monaten und bräuchte dafür nicht mehr als 2 Finger. Das Gegenteil davon sind die Wochenenddienste (ca. 1/Monat), hier arbeitet man auf dem interdisziplinären Notfall im vollen Assistenzarztmodus und völlig selbstständig. Das ist anstrengend aber der Lerneffekt ist unbezahlbar und auch das Gefühl endlich mal wirklich komplett selbstständig zu Arbeiten. Rückendeckung bekommt man jedoch zu jeder Zeit und von allen Seiten.
Die Kombination aus den familiärem, freundlichen, zuvorkommenden und wertschätzenden Kollegen aller anzutreffenden Spitalberufe, dem unvorstellbaren Arbeitsklima, dem Teaching, der Lage des Spitals, den Aufgaben die man annehmen durfte und vor allem der Selbstständigkeit machen Chirurgie in Frutigen einem Tertial das schlicht und ergreifend nicht besser sein könnte.
Kurz zur Lage des Spitals: Frutigen liegt mitten im Berner Oberland. Im Nordosten liegt in 15m Entfernung der Thunersee, welcher sich meiner Meinung nach zusammen mit dem direkt angrenzenden Brienzersee den Titel schönster See Europas teilen darf. Dahinter liegen die grossen namenhaften Berner4000er und man schaut mitten in die Eiger Nordwand. Im Südosten liegt das Bluemliesalpmassiv das Doldenhorn und das Balmhorn, dahinter das Wallis. Im Süden liegt Adelboden und im Westen die Berner "Voralpen". Für jeden gibt es hier etwas, wir sind viele Hochtouren gegangen waren viele Mehrseillängen klettern ( Ueschenental, Plaisir West), Sportklettern (Dällenboden, Interlaken, Plaisir West) und Bergsteigen. Für die die es entspannter mögen gibt es viele Wanderwege und Klettersteige. Bern ist ebenfalls mit dem Zug nur 45 Minuten entfernt und genau wie Thun immer einen Besuch wert.
Wer im Winter dort ist den erwartet eine Skitourenregion die Ihresgleichen sucht, von WS- (Rauflihore) bis SS+ (Eiger Westflanke) ist alles möglich und die Aussicht jedes Mal aufs neue unbeschreiblich.
Fazit: Frutigen ist das perfekte PJ Tertial, wirklich alles stimmt. Ihr werdet im PJ selber merken, dass das ständige Hinterherlaufen und Angewiesenensein auf andere Ärzte kräftezehrend ist. Das selbstständige Arbeiten und die Autonomität welche Frutigen bietet sind unbezahlbar und für ein PJ Tertial nicht zu übertreffen.
Zum Schluss möchte ich mich nochmals von ganzem Herzen beim gesamten Team des Spitals Frutigen für die unfassbar tolle Zeit bedanken!