Ich muss vorweg sagen, dass mein Tertial unter erschwerten Umständen stattfand. Zum einen waren lediglich 3 statt 5 OP-Sälen wegen Umbaumaßnahmen geöffnet, zum anderen kam es kurz nach Beginn des Tertial zum Corona-Lockdown mit Absage aller elektiven Operationen für mehrere Wochen.
Zu den Rahmenbedingungen: 450€ Gehalt, Frühstück und Mittagessen frei (und wirklich reichlich und lecker), Kleidung wird gestellt, am 1. Tag gab es eine kleine Führung, Wäscheausgabe und einen Einarbeitungszettel. Namensschild und PC-Zugang waren fertig. Es gibt ein Studenten-Telefon, das während meiner Zeit allerdings ein Hospitant hatte. Aufgrund der kurzen Laufwege hat das aber selten gefehlt.
Zur Klinik: Ein wirklich tolles Haus, fast alles renoviert oder neu gebaut, gute technische Ausstattung. Die Stimmung im Haus und zwischen den Beschäftigten war eigentlich immer positiv, gerade im Vergleich zu den anderen Häusern, die ich im PJ erlebt habe. Das Spektrum umfasst operativ vor allem Endoprothetik, Unfallchirurgie und Wirbelsäulenchirurgie sowie eine etwas kleinere Allgemein-, Visceral und Gefäßchirurgie und eine operative und geburtshilfliche Gynäkologie. Daneben operieren Belegärzte für HNO und Urologie. Die ganz großen Eingriffe wird man hier nicht erleben, aber man bekommt einen umfassenden Eindruck. Das Haus ist regionales Traumazentrum und unter normalen Umständen gibt es wohl auch einige Traumata zu sehen.
Zur Abteilung: In den letzten Jahren hat ein deutlicher Wandel stattgefunden, es ist nun keine reine Facharztabteilung mehr, sondern bestand zu meiner Zeit aus 1 CA, 2 LOÄ und 3 OÄ, dazu 3-4, in Zukunft wohl geplant 5 Assistenzärzten. Das es zu meiner Zeit nur 3 OP-Säle gab und eine neue Assistenzärztin angefangen hat und ein Hospitant eingearbeitet wurde war leider oft weniger zu tun. Es kam anders als in den Vorbewertungen relativ selten vor, dass ich mal alleine mit einem Oberarzt im Saal war. Zusätzlich können einige der Assistenzärzte sprachlich bedingt leider nicht viel erklären.
Die Intensivstation betreut anästhesiologisch nur die operativen Patienten, die Internisten versorgen ihre Patienten eigenständig. So kommt es häufiger vor, dass lediglich postoperative Patienten oder delirant-demente Patienten auf der ITS liegen, "echte" Intensivpatienten sind seltener, ihre Anzahl schwankt stark.
NEF mitfahren kann man grundsätzlich fast immer. Die Anästhesisten selbst fahren allerdings sehr selten (<5 Wochentage im Monat) und die Einsatzfrequenz ist nicht sehr hoch. Bei den Ärzten aus anderen Fachabteilungen bin ich aus verschiedenen Gründen nicht mitgefahren. Wer noch keine Notfallerfahrung hat kann hier definitiv viel lernen! Zusätzlich war ich einige Tage in der Prämedikationsvisite und habe viel mitnehmen dürfen.
Ich möchte nochmal betonen, dass mein Eindruck durch die Corona-Pandemie und Umbau vielleicht repräsentativ ist. Meine Bewertung:
Positiv:
-Der Chefarzt und viele der Oberärzte haben große Freude und Interesse daran, etwas beizubringen. So wurde mir viel gezeigt, viel gefragt und beantwortet und es wurden regelmäßig spontane Teachings zu allen wichtigen Themen aus Anästhesie-, Notfall- und Intensivmedizin durchgeführt. Man merkt schnell, bei wem es sich lohnt, mitzulaufen. Leider war der Chefarzt laufend in Besprechungen wegen der Pandemie gebunden, so dass ich selten mit ihm in einem Saal sein konnte. Auf Nachfrage hat er gerne eine Prüfungssimulation ermöglicht, wofür ich nochmal danken möchte!
-Das Spektrum der Operationen und der Anästhesieverfahren ist breit, wobei ein Schwerpunkt auf balancierten Intubationsnarkosen und Regionalanästhesie liegt. Ich durfte regelmäßig Maske-Beutel-Beatmen, LAMA einlegen, konventionell und videolaryngoskopisch intubieren und Arterien legen. Gelegentlich darf man sogar Narkoseeinleitung und Atemwegssicherung bei Kindern oder auch eine RSI übernehmen! Man sieht z.B. auch Notfall-Sectios, Repositionen im Schockraum oder die Hirntoddiagnostik auf Intensiv. Durch die Größe des Hauses kann man bei fast allen spannenden Dingen dabei sein.
-Wenn man mit einem der Oberärzte im Saal war, dann war es wirklich großartig, man durfte viel machen und hat vor allem ganz verschiedene Arten der Anästhesie kennengelernt, da jeder so ein bisschen seinen eigenen Weg geht und es keine starren Standards gibt. Das ist zwar zu Anfang etwas verwirrend, ermöglicht es aber, ein viel besseres Verständnis für die Anästhesie zu bekommen und nahezu jedes verfügbare Medikament kennenzulernen.
-Erwähnen möchte ich hier noch das großartige und supernette Pflegeteam, die darüber hinaus hochkompetent sind und viele hilfreiche Tipps geben. Gleiches gilt auch für die operative Seite, selten habe ich eine so angenehme und kollegiale Stimmung im OP erleben dürfen.
-Gehalt, sehr gute Verpflegung sowie eine kostenfreie Unterbringung (siehe unten) ergeben ein lohnendes Gesamtpaket, das leider noch bei weitem nicht überall der Standard ist.
Negativ:
- Bedingt durch die Überbesetzung und den Saalmangel gab es allerdings auch zahlreiche Tage, wo man nur zusehen konnte, wie andere angeleitet werden. Einen ZVK habe ich beispielsweise nur einmal legen können und auch keine Regionalverfahren selbst angewandt, da immer Assistenzärzte da waren, die dienstfit gemacht wurden oder Zahlen sammeln mussten. Es wurde aber gerne und ausführlich gezeigt und erklärt. "Springen" zwischen den Sälen war bei mir fast nie möglich
- Unterricht außerhalb der Anästhesie findet selten statt, theoretisch sollte es einmal die Woche ein Seminar geben. Entweder wurde man endlos vertröstet, es wurde direkt abgesagt oder es waren schlecht gemachte Vorträge. Da wäre sicherlich noch mehr drin.
-Größtes Manko des PJs war die Unterbringung. Die Wohnung liegt am Rande der Innenstadt direkt an der Hauptstraße und den Bahngleisen, ist völlig verwohnt und die Gemütlichkeit bewegt sich irgendwo zwischen Jugendherberge und Kasernenstube. Neben den PJlern wohnen dort über eine Agentur angeworbene Assistenzärzte aus aller Welt, bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben. Leider bekommt man nie Bescheid, wenn jemand einzieht, zudem gehen viele aufgrund des Durchgangscharakters nicht wertschätzend mit der Wohnung um (Rauchen im Zimmer, Müll zurücklassen etc.). Eine externe Reinigung findet nicht statt, und Staubsauger oder Putzmittel waren nicht vorhanden. Zudem gibt es ein Badezimmer für bis zu 5 Bewohner mit nahezu identischen Arbeitszeiten. Das WLAN ist zwar stabil, aber sehr langsam und die Ausstattung der Küche besteht aus Omas Töpfen von 1950. Dementsprechend habe ich mich dort absolut unwohl gefühlt und fand es für einen Aufenthalt von 4 Monaten schlicht inakzeptabel. Zu Fuß waren es knapp 20 Minuten zum Krankenhaus, Fahrräder waren leider nicht vorhanden. Da Korbach nun nicht gerade zentral liegt und die Anbindung nach Göttingen oder Kassel mäßig ist sollte man sich das für ein komplettes Tertial schon überlegen. Wir haben die Kritik bei allen zuständigen Stellen vorgetragen, vielleicht ändert sich ja was.
Fazit:
Auch wenn nicht jeder Tag gelungen war und man nicht alle Facetten der Anästhesie zu sehen bekommt, so habe ich doch ein sehr fundiertes Wissen vermittelt bekommen, so dass ich für das Staatsexamen eigentlich nur Wiederholen musste. Ich habe trotz der erschwerten Umstände viel gesehen, gelernt und gemacht und mich vor allem menschlich in dem Krankenhaus und der Abteilung wohlgefühlt. So toll, wie meine Vorgänger es beschrieben haben, war es bei mir aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen und der besonderen Umstände nicht ganz und die Unterbringung war wirklich unschön. Wer Herzchirurgie, Massentransfusion und ECMO sehen will, der geht besser woanders hin, werde eine sehr gute grundlegende Ausbildung bekommen will ist hier genau richtig. Danke für die schöne Zeit!