Obwohl ich anfangs eher keine grosse Motivation für mein Chirurgie-Tertial im Ausland hatte, muss ich sagen, dass es rückblickend mein Bestes war. Aber das ist natürlich wie immer sehr individuell und das Ergebnis davon, was man draus macht.
Ihr solltet euch darauf einstellen, dass man mehr arbeiten wird,. Dies wird meiner Meinung nach aber dadurch aufgewogen, dass man mehr ärztliche Aufgaben anvertraut bekommt und nochmal ein neues Gefühl für alles bekommt.
Organisatorische Dinge:
> Die Unterlagen bekommt man früh zugeschickt und auch die "Einreiseerlaubnis" ist mit dabei ( die Stadt Solothurn schickt einem dann zwar eine Aufforderung, sich beim Einwohnermeldeamt vorzustellen, aber das ist mit diesem Wisch über das Spital geregelt und muss nicht erfolgen. Einfach kurz anrufen und nochmal klären, sonst hat man wie wir einen Brief mit Mahnungsgebühr im Briefkasten - hat sich aber auch dann noch geregelt ;)). Bei Fragen würde ich einfach dort anrufen, die sind mega nett.
> Mir hat das Spital-WLAN bzgl Handynutzung ausgereicht und habe mir dann keinen Schweizer Tarif geholt. Ich habe meine Ausflüge einfach gut im Voraus geplant. Hat super geklappt. Es gibt WLAN-Router im Wohnheim und das ist in den Zimmern eigentlich super (ausser in der Küche und im Treppenhaus)
> Man kann in der Schweiz für einen so begrenzten Zeitraum nicht wirklich ein Konto eröffnen. Bei der Postfinance gibts wohl ein Sparkonto, welches man auch für 4 Monate nutzen kann. Bis zum letzten Monat haben wir Unterassistenten uns das Gehalt aber eigentlich alle in bar auszahlen lassen. Seit dem Umzug in das neue Spital im Mai 2021 wurde das dann auf mein deutsches Konto überwiesen. Vielleicht ist das ja jetzt die Regel. :)
> Unser Tipp: Überlegt euch, ob ihr euch ein Interrail-Ticket oder ein Halbtax kaufen wollt, das ist bei fehlendem Auto eine günstige Möglichkeit, trotz relativ hoher Preise für Öffis diese regelhaft zu nutzen und die wunderschöne Schweiz zu erkunden (worth it!!!).
> Die Küche ist NICHT ausgestattet. Ihr müsst die Sachen selbst mitbringen. Man hilft sich aber aus und lässt irgendwann die Küchenfächer offen, damit jeder sich bei Bedarf mal was leihen könnte. Oft erbt man auch Lebensmittel/Geschirr von abwandernden Uhus. Falls der kleine Kühlschrank auf eurem Zimmer platzen sollte, gibts auf den verschiedenen Stockwerken immer noch ein gemeinsamer Küchenkühlschrank.
> Ihr erhaltet alle einen Zugang zum Kisim, ein Badge ( öffnet euch so gut wie alle Türen) und ein Telefon. Freut euch auf die elektronische Patientenakte!! Es macht wirklich Spass, damit zu arbeiten. Keine Sorge: Am Anfang ist man ziemlich überfordert von den vielen Details auf dem ziemlich engen Raum auf dem Bildschirm. Geht das in Ruhe an und gebt euch da bisschen Zeit, euch darin zurechtzufinden. Das kommt, schaut den Assistenten einfach bisschen auf die Finger! Am Anfang ist v.a. wichtig, dass ihr einen Anamnesebericht anlegen und schon mal vorschreiben lernt, die Labor-/ Bildbefunde sichtet und Ergebnisse eintragt und so. Lasst euch das ein- zweimal genauer zeigen und sonst immer fragen. Die Assistenten freuen sich, wenn ihr Ihnen Rückmeldung zu Befunden gebt, auf die man zb gerade wartet.
> Auslandsversicherung: Tlws hat man das ja schon über zb. die Bank etc etc. Ich habe den Tipp bekommen, dass man als Mitglied beim Marburger Bund eine kostenfreie Auslandsversicherung bei der Allianz abschliessen kann. Geht entspannt online und über Mailkontakt.
> Die Schweizer haben einen wirklich super herzlich empfangen, das war fast schon ein kleiner "Kulturschock" :P! Einfach immer bei allen vorstellen, auch beim Chef :) Die erste Woche ist sprachlich nicht immer einfach, aber man hört sich schnell ein und eignet sich auch selbst einige Worte an ;) Niemand ist genervt, wenn ihr am Anfang nochmal nachfragen müsst!
> Aktuelle Ansprechpartnerin bzgl Dienstplan ist die stellvertretende Chefärztin, Dr. med. Annette Ringger. Manche Dinge könnt ihr in Rücksprache mit ihr auch noch besprechen und anpassen. Schaut, dass ihr für Feiertage, an denen ihr arbeiten solltet den entsprechenden Kompensationstag bekommt!
> Pickett hat man je nach Anzahl der Uhus mehr oder weniger oft. Für 1 Woche Rufbereitschaft bekommt man 2 Kompensationstage frei. Innerhalb 30 min solltet ihr steril am Tisch stehen. Der Einsatz eurerseits hält sich hier durchschnittlich gesehen eher in Grenzen. Ich persönlich wurde dabei immer von der Ortho angerufen.
Meine Rotationen:
Chirurgische Stationen (mehrere, die Fachrichtungen werden hier nicht getrennt):
> Täglich 7.30 Uhr Frühbesprechung, hier sind alle alle mit am Start. Dauert immer ein bisschen, hier werden die Patienten und OPs ausführlich besprochen.
> Entlassungen auf Station
> Visite mit der Pflege zusammen, hier mitschreiben (Subjektiv, Objektiv, Procedere) und dann Verlaufseinträge in der Akte anpassen
> Anschliessend neue Befunde sichten und in Briefe übertragen, Brief-Epikrisen weiterschreiben, Telefonieren (ambulante Termine ausmachen, radiologische Anmeldungen, Konsilanfragen, Befunde vom HA/etc anfordern oder sich einfach bei der OP-Leitstelle für OPs eintragen und dann abrufen lassen)
> manchmal klappt es, dass alle zusammen Mittagessen gehen können
> 15.00 Uhr Röntgenrapport bei den Radiologen, freitags anschliessen Wochenendbesprechung, hier übergeben die Stationsärzte nochmal alle Patienten und Probleme an den Wochenenddienst und Chefarzt
> Stationsarbeit weiter, tlws darf man eigene Patienten betreuen! Fragt auch aktiv danach! Aufnahmen habe ich irgendwie echt wenig gemacht.
> Ende zwischen 17.00 - je nachdem auch mal 19.00 Uhr (je nach Eigenengagement, Patientenbetreuung etc)
> OPs: Ich war fast immer steril mit am Tisch. Klar hält man hauptsächlich Haken, aber die Ärzte sind echt nett, es ist einfach spannend weil man ein umfassendes OP-Spektrum sehen kann und oft findet auch Teaching statt. Man darf natürlich auch mal nähen. Die Gefässchirurgen fragen einen schon ein bisschen aus, hier bietet es sich präoperativ an bei Interesse nochmal ein paar anatomische Strukturen, die operative Zugänge etc anzuschauen. Insgesamt bleibt man als Uhu am Ende immer bei der Ausleitung und Umlagerung dabei und hilft mit.
Ortho (hier war ich nur kurz)
> Tägliche Frühbesprechung mit Röntgenrapport um 07.15 Uhr. Hier wird man vom Chefarzt auch schon mal zu den Röntgen-/CT-Bildern gefragt (Was sehen Sie?), zur operativen Versorgung, etc.
> Visite, oft mit einem Internisten zusammen, die sich halt um die entsprechenden internistischen Probleme kümmern. Hier hat man als Uhu das Diktiergerät dabei und hält während der Visite zu jedem Patient kurz Subjektiv, Objektiv (Wunde reizlos? Comfeel-Pflaster dicht?, solche Dinge), und Procedere (zb wann Entlassung/ Reha etc geplant) fest, abgetippt wird das im Sekretariat von jemand anderem. Ach ja, am Anfang diktiert man kurz seinen Namen, seine Funktion (Uhu) und mit welchen Ärzten die Visite stattfindet und am Ende bedankt man sich "fürs Schreiben".
> Stationsarbeit findet anschliessend hptsl im Büro statt. Briefe, Medi-Rezepte, Physiotherapie-Rezepte, Attest/ AU werden angelegt und ausgefüllt. Entlassungen macht man als Uhu oft, hier erklärt man dem Patient kurz das weitere Procedere und erklärt die ganzen mitgegebenen Dokumente, geht die neuen Medis durch etc.
> die OPs sind hier echt ganz cool, ich durfte z.b. auch mal eine Platte rausoperieren.
> Das Team besteht bis auf wenige Ausnahmen hpstl aus männlichen Kollegen. Sie sind alle sehr nett :) Den Chef fand ich persönlich speziell, aber schon auch nett.
Notfall
> Allerbeste Rotation, loved it! :)
>Frühschicht 7- ca 17 Uhr, Mittelschicht 11-19 Uhr, Spätschicht 15-23 Uhr (man kommt oft nicht ganz pünktlich raus, aber man hat auch keine Langweile, die Zeit fliegt oft!), Nachtschicht geht theoretisch auch.
> Super liebes, junges Assistententeam und insgesamt (auch auf den Stationen) super kompetente Pflege. Der Leiter vom Notfall und der zuständige Oberarzt sind ziemlich präsent und für Rückfragen da. Die Ortho kommt immer extra bei allen Bewegungsapparat-Problemen vorbei.
> Gute Einarbeitung durch initial erst mal Mitgehen und Überblick gewinnen können, guter Lerneffekt durch sehr schnell mit einbezogen werden
> Hier könnt ihr ausführlich Anamnese, KU, Patientenvorstellung an Assistent/ OA/Leiter Notfall üben, ihr meldet die Diagnostik an und schaut euch auch die Bildgebung vor radiologischer Befundausgabe an, organisiert ggf. Verlegungen ans Spital Olten etc, fordert Befunde an und Medilisten beim HA an und dürft zb Wunden inklusive Anästhesie versorgen.
> Es kann auf dem Notfall schon mal ziemlich schnell voll werden, spätestens hier bietet sich die Gelegenheit für euch, den Assistenten ein paar Patienten abzunehmen und auch direkt mit dem Oberarzt/ Leiter zu besprechen! Ich hatte da am Anfang einen ziemlichen Respekt davor, aber das hat sich echt ins Gegenteil verwandelt, ich bin in diesem Setting unerwarteterweise total aufgegangen und hatte trotz eher ängstlichem Persönlichkeitstypus wirklich unfassbar viel Spass daran (natürlich stellt sich schon ab und an das Gefühl der Überforderung ein, aber man wird nicht alleine gelassen) :D . Nutzt diese Erfahrung und testet auch mal eure Belastungsgrenzen in diesem behüteten Kontext aus.
> Mitgehen bei den Übergaben von dem Rettungsdienst
> Mitgehen in den Schockraum. Schnappt euch Handschuhe und einen Anamnesebogen und schreibt alles bei der Übergabe durch die Rettung mit. Wenn ihr ganz aufmerksam mit dabei seid, könnt ihr euch auch schon einmal am PC dort einloggen und schauen, ob und warum der Patient schon mal da war (Medis, Diagnosen, Vorbefunde), sowie das Sonogerät bereitstellen, einschalten, den Patient einstellen und das eFAST-Programm starten . Am Besten versucht man, der Pflege nicht im Weg zu stehen, aber gerade beim Umlagern dürft ihr immer beherzt mithelfen. Auch wenn man jetzt nicht an vorderster Front steht, lernt man durch Observieren auch schon sehr viel! Meistens geht ihr dann noch mit in die benachbarte Radiologie zur Trauma-Spirale und helft auch da wieder umlagern.
> 15 Uhr Röntgenrapport, hier bereitet ihr meistens einen Teil der Notfall-Patienten auf der Liste ganz kurz vor und stellt sie mit Alter, Leitsymptom, pathologischem Befund in der KU, auffälligen Laborparameter, Fragestellung der angemeldeten Bildgebungs-Modalität und weiterem Procedere vor. Wenn es wirklich stressig auf dem Notfall ist, sind euch die Assistenten dankbar, wenn ihr das manchmal auch einfach alleine macht und alleine hingeht (das klingt stressiger als es wirklich ist! Kommt aber seltenst vor).
Verbesserungswürdig fand ich das Teaching-Angebot. Mittwochs gibts in der chirurgischen Frühbesprechung immer eine Art Journal Club, aber sonst gibts für Uhus keinen extra Unterricht. Einmal gabs einen Nahtkurs, der war ganz gut zur Auffrischung.
Ich kann auch den nicht Chirurgie-Begeisterten unter euch ein Tertial in Solothurn auf jeden Fall weiterempfehlen.
Solothurn wird oft als "die schönste Barock-Stadt der Schweiz " bezeichnet und ist wirklich hübsch, vor allem im Frühling und Sommer, den ich dort verbringen durfte. Die Aare fliesst mitten durch die Stadt und lädt zu einer erfrischenden Bade-/Schlauchboot-Session ein. Der Jura-Hausberg ist der Weissenstein, aber auch ins wunderschöne Berner Oberland mit seinen unzähligen Alpengipfeln und türkisblauen Seen ist es nicht weit. Einen Besuch wert ist zudem die französische Ecke am Genfer See, die italienische Schweiz (Tessin), das Appenzeller Land im Osten und auch die Gegend um Zermatt mit dem Matterhorn. Eigentlich kann man nicht viel falsch machen bei der Freizeitgestaltung :)
Viel Spass euch !!
Bewerbung
In meinem Fall 2 Jahre (damals war dann das erste Tertial schon nicht mehr die vollen 4 Monate verfügbar)