PJ-Tertial Anästhesiologie in HELIOS Klinik Cuxhaven (5/2021 bis 9/2021)

Station(en)
ITS/IMC
Einsatzbereiche
Station, OP
Heimatuni
Hamburg
Kommentar
Klinik:
Ich war relativ zufällig in Cuxhaven gelandet, da ich finanziell auf PJ-Aufwandsentschädigungen angewiesen bin und somit leider keine Tertiale im Hamburger Stadtgebiet absolvieren kann und mich dann von den guten Bewertungen und der Aussicht auf einen Sommer am Meer habe locken lassen. Man wird vor allem in den ersten Tagen auch regelmäßig verwundert gefragt wie(so) man in Cuxhaven gelandet ist und ich hab die Frage im Laufe des Tertials zunehmend besser verstanden. Zu Beginn des Tertials geht man idR mit den Anästhesist*innen in den OP und kann dann nach einigen Wochen auf die Intensivstation und wenn man möchte auch in die Notaufnahme rotieren. Das kann man eigeninitiativ mit dem Chefarzt absprechen und sich im Prinzip aussuchen wie lange man was machen will. In der Notaufnahme sind in den Semesterferien recht viele Famulant*innen gewesen (scheinbar hat die ZINA bislang sehr gute Bewertungen auf Famulatur Ranking gehabt...), sodass ich dort nicht mehr war.

Alle sind sehr nett zu Einem und freuen sich grundsätzlich auch, dass man da ist. Insbesondere die Pflege war abteilungsübergreifend wahnsinnig nett, hilfsbereit und kompetent. Leider herrscht ebenfalls abteilungsübergreifend ein absolut lächerlicher Personalmangel sowohl ärztlich als auch pflegerisch. Selbst mit Honorarkräften können kaum alle zu vergebenden Dienste besetzt werden und die zeitliche Arbeitsbelastung des kompletten Personals ist absurd. Dazu kommt eine sehr entlassungsfreudige Klinikleitung, allein in meinem kurzen Tertialzeitraum sind diverse Ober- und Chefärzte gegangen (worden) ohne auch nur perspektivisch eine Nachfolge in Aussicht zu haben. Auch bei den Weiterbildungsassistent*innen haben so Einige gekündigt. Insgesamt ist dadurch die Stimmung im Haus absolut unterirdisch und gefühlt auch während meines Tertials noch mal deutlich schlechter geworden. For reference hab ich mal einen kürzlich in den Cuxhavener Nachrichten erschienenen Zeitungsartikel beigefügt.

Durch den Personalmangel bedingt kommt auch die Weiterbildung der Assistenzärzt*innen zu kurz und deren Kenntnissstand ist extrem unterschiedlich. Teilweise wurde einem sehr viel erklärt und beigebracht, teilweise musste man beide Ohren auf Durchzug stellen um nicht haufenweise Bullshit unterbewusst aufzunehmen, der einem im M3 durchfallen lassen würde. Würde generell sagen, dass im ganzen Haus recht wenig Wert auf best practice gelegt wird und durch den Zeitmangel teilweise auch die Fortbildung auf den aktuellen Stand der evidenzbasierten Medizin leider etwas vernachlässigt wird - je nach Abteilung ist das unterschiedlich stark ausgeprägt.

Ist dementsprechend im OP auch jeden Tag Glückssache wer für die Säle eingeteilt ist und ob man irgendeine Chance hat etwas zu lernen. Der Tag beginnt morgens um 07:30 Uhr mit einer kurzen Frühbesprechung auf ITS, danach geht man dann mit in den OP. Grundsätzlich darf man sich immer aussuchen bei wem man mitgeht und in welchen Saal man möchte und kann auch zwischen den Sälen springen. Grundsätzlich darf man unter Anleitung alles machen, allerdings ist auf Grund des sehr eingeschränkten chirurgischen Spektrums auch das anästhesiologische Spektrum derzeit recht schmal. Zu Ende meines Tertials waren pro Tag nur noch so 1-2 Säle in Betrieb mit überwiegend kleinen, elektiven Eingriffen in LAMA und mit Basismonitoring. Dementsprechend gibt es leider wenig Gelegenheiten im OP zu intubieren, arterielle Zugänge oder ZVKs zu legen. Durch die anstehende Fusion der Standorte Cuxhaven und Sahlenburg mag sich das aber zeitnah ändern.

Auf der interdisziplinären Intensivstation ist man im Tagdienst idR allein mit dem Oberarzt. Durch den Mangel an Pflegekräften waren während meines Tertials durchgehend nur 3-6 Betten belegbar, sodass man auf jeden Fall die Gelegenheit hat sich ausgiebig in die Patient*innen einzulesen und den Verlauf mitzuverfolgen. Auch, weil die betreuuenden Fachabteilungen gerne mal recht spät zu den Visiten erschienen. Man darf sich definitiv einbringen, Vorschläge zu Diagnostik und Therapie machen, alle auf ITS stattfindenen Untersuchungen begleiten, Untersuchungen anfordern, ... Wenn neue Patient*innen aufgenommen werden, darf man auch gerne arterielle Zugänge oder ZVKs legen. Ich hatte insofern Pech, dass die meisten Patient*innen im Spät-/Nachtdienst aufgenommen wurden und dann am nächsten Morgen bereits mit allem notwendigen Monitoring versorgt wurden. Auch Unterstützung beim Untersuchen der Patient*innen und Briefe schreiben wurde sehr gerne gesehen.

PJ-Unterricht findet theoretisch 1x/Woche statt, zu Beginn war das pandemiebedingt noch komplett ausgesetzt und im Verlauf ist der Unterricht dann meistens einfach spontan ausgefallen. Sowas wie abteilungsinterne Fortbildungen, Röntgenbesprechungen, ... gab's während meines Tertials überhaupt nicht, keine Ahnung ob das auch so ein Pandemie-Ding war oder generell im Haus nicht stattfindet.

Von Seiten der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin wurde sich definitiv um eine gute Betreuung von mir als PJ-lerin bemüht, aber unter den gegegbenen Bedingungen im Haus zwischen groteskem Personalmangel, qualitativ durchwachsenem Fachwissen der Ärzt*innen, grottenschlechter Stimmung und komischen Sparmaßnahmen würde ich trotzdem von einem PJ-Tertial in Cuxhaven (und v.a. einem Besuch der Klinik als Patient*in!) abraten.

Ich hab im Studium immer sehr durchwachsene Pflegepraktika und Famulaturen in sehr unterschiedlichen (auch privatwirtschaftlich betriebenen) Krankenhäusern erlebt, aber so ein Personalkarussel und so viele Fehler in der Patient*innenversorgung habe ich vorher noch nie erlebt. Hier kann man echt eindrücklich erleben warum der Betrieb von Krankenhäusern durch große, privatwirtschaftlich betriebene und gewinnorientierte Klinikkonzerne nicht dem Patient*innenwohl dient und die Erwirtschaftung von Milliardengewinnen aus unserem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem eine absolute Frechheit zu Lasten der Bürger*innen ist.

Orga & Unterbringung:
Die organisatorische Abwicklung mit der Personalabteilung und der PJ-WG läuft okay ab, die PJ-WGs sind ca. 3 Minuten mit dem Rad von der Klinik entfernt und so 5 Minuten mit dem Rad vom Bahnhof entfernt. Die Einrichtung ist echt spartanisch. Würde auf jeden Fall eine Nachttischlampe und eine Yogamatte für die Rückenschmerzen von den dünnen Matratzen empfehlen und im Zweifelsfall ein eigenes Kopfkissen. Wir haben auch erst eine Woche vor Ende meines Tertials blickdichte Vorhänge für unsere Erdgeschoss-WG bekommen und die anderen WGs haben teilweise nach wie vor keine. Falls ihr gerne kocht, bringt euch auf jeden Fall alle nötigen Küchenutensilien selbst mit und auch zum Kaffee kochen braucht ihr eine eigene French Press/Espressokocher o.ä. Die Sauberkeit schwankt sehr zwischen den Wohnungen, bei mir war alles okay, aber teilweise hatten die Leute auch mit Maden und Schimmel zu kämpfen. Ein Internetanschluss wird von der Klinik nicht gestellt, manchmal hat man Glück und irgendein netter Studi hat sich eigenständig um einen DSL-Vertrag gekümmert, den man dann mitbenutzen und mitbezahlen kann (WLAN-Repeater sehr hilfreich fürs Teilen über Wohnungsgrenzen hinweg).
Die Personalabteilung schickt einem vorher alle notwendigen Dokumente zu und die Auszahlung der monatlichen Aufwandsentschädigung in der letzten Woche des jeweiligen Monats funktioniert ebenfalls problemlos. Falls man zwischendrin irgendein Anliegen hat, kann es aufwändiger werden die zuständige Person herauszufinden bei dem scheinbar auch in der Verwaltung herrschenden Personalchaos.

Freizeit:
Wenn man gerne Zeit draußen verbringt und im Sommer da ist, kann man sich die Zeit an Elbe und Nordsee sowieso mit kleineren Ausflügen zu den touristischen Highlights in der Umgebung durchaus vertreiben. Bei Mistwetter wird's dann schnell langweilig und im Winter gibt's außer in der PJ-WG rumhocken (ggf. ohne Internet) sicherlich wenig. Bringt euch auf jeden Fall ein Rad mit wenn ihr könnt, ohne ist man ganz schön aufgeschmissen. Der 10h Kitekurs wird von der Klinik weiterhin übernommen und den würde ich auch auf jeden Fall weiterempfehlen. Die Kiteschule ist super und sehr flexibel was Nachholtermine etc bei wetterbedingt ausgefallenen Kurstagen angeht. Ich bin an den Wochenenden immer nach Hause nach Hamburg gefahren. Gibt bestimmt auch noch ein paar weitere Freizeitangebote, aber mit dem schmalen PJ-Verdienst hat man idR ja auch kein unendliches Budget, Tagesausflüge nach Bremerhaven oder Helgoland sind im Zweifelsfall sicherlich auch 'ne Option.

TL;DR:Tu dir den Gefallen und mach das Tertial woanders.
Unterricht
1x / Woche
Inhalte
Prüfungsvorbereitung
Repetitorien
Tätigkeiten
Braunülen legen
Untersuchungen anmelden
Blut abnehmen
Briefe schreiben
Patienten untersuchen
Rehas anmelden
Botengänge (Nichtärztl.)
Punktionen
Dienstbeginn
7:00 bis 8:00 Uhr
Dienstende
15:00 bis 16:00 Uhr
Studientage
1x / Woche frei
Tätigkeiten
Kleidung gestellt
Essen frei / billiger
Aufwandsentschädigung / Gehalt
Unterkunft gestellt
Mittagessen regelmässig möglich
Gehalt in EUR
399€
Gebühren in EUR
10€/Woche Unterkunft zzgl. Studi-Internet

Noten

Team/Station
3
Kontakt zur Pflege
1
Ansehen des PJlers
3
Klinik insgesamt
5
Unterricht
4
Betreuung
3
Freizeit
2
Station / Einrichtung
4
Gesamtnote
4

Durchschnitt 3.67