Ich habe mein drittes Tertial am Klinikum WHV (früher Reinhard-Nieter-Krankenhaus) verbracht. Ich war mit meiner Partnerin hier, mit der ich eine Zwei-Zimmer-Wohnung auf dem Klinikumsgelände gestellt bekommen habe (Top!), weil wir beide uns die Nordsee ansehen wollten. Meine Ziele waren, am Ende einen strukturierten psychopathologischen Befund erheben zu können und gut auf die Prüfung vorbereitet zu werden. Nach drei Wochen auf der Station 3 (Privatstation, Fokus Depression) und zwei Patienten, mit denen ich regelmäßig motivationale Gespräche geführt habe, wurde es mir auf der Station zu langweilig. Auf Station 1 (Geschlossene und Aufnahmestation) gefiel es mir dann wesentlich besser, da ich dort auch Patienten führen, aber auch Aufnahmen machen und so den psychopathologischen Befund (wenn auch nicht sehr systematisch) üben konnte. Bis zum Ende gab es leider keine psychiatrischen Fortbildungen jeglicher Art.
Aufbau der Klinik:
PSY1: Akut-/Aufnahme-/Geschlossene Station
PSY2: Alterpsychiatrie
PSY3: Privat-/Depressionsstation
PSY4: Junge Erwachsene
PSY5 und 6 sind ausgelagerte, ambulante Kliniken
PSY7: Psychotherapie
PSY8: Verhaltenstherapie- und Suchtstation
Pro:
- Beteiligt sich an der "Aktion Faires PJ": Unterkunft und 1x tgl. Verpflegung kostenfrei + 350€ Aufwandsentschädigung. Arbeitskleidung wird gestellt und Schlüssel und PC-Zugänge auf Nachfrage unkompliziert ausgegeben.
- Seminartage alle vier Wochen: normalerweise wohl in Hamburg, wegen Corona aber Fortbildungen online auf freiwilliger Basis.
- Man darf bei allen Besprechungen, Visiten, Prozeduren und Gruppen teilnehmen
- Eigene Patienten können geführt und Aufnahmen selbstständig durchgeführt werden, müssen aber nicht
- Interessante somatische Therapien: Elektrokrampftherapie, Transkranielle Magnetstimulation, Ketamintherapie. Der Oberarzt der PSY3 und der Chef sind auch Neurologen, sodass man immerhin ein bisschen somatische Expertise hat (ansonsten gibt es nämlich weder Neurologie noch Neurochirurgie im Haus)
- Zeit zum Selbststudium
- Super Pflegepersonal auf allen Stationen und auch die Psychotherapeuten sind freundlich.
- Zweimal jährlich gibt es wohl eine Elektrokrampf-Fortbildung, jedoch nicht in der Zeit am Klinikum.
Contra:
- "Wegen Corona" fanden das ganze Tertial lang in der Psychiatrie keinerlei Weiter-/Fortbildungen statt. Lehrvisiten auch nicht. Immerhin konnte ich an den regelmäßigen Fortbildungen der Allgemein- und Unfallchirurgen teilnehmen und klinikübergreifende Fortbildungen besuchen.
- Hohe Fluktuation der Ärzteschaft: viele ausländische Hospitanten oder junge Ärzte, die eigentlich gar kein Interesse an Psychiatrie haben. Dementsprechend auch wenig Kompetenz unter den Ärzten, sodass man fachliche Fragen eigentlich nur an die Oberärzte stellen kann.
- Teils strenge Hierarchien: ich wurde mehrmals im Nachhinein zurechtgewiesen, weil ich dem leitenden Oberarzt oder dem Chef "unnötige" Fragen gestellt habe. Die anderen Oberärzte sind aber freundlich.
- Ärzte und Psychotherapeuten wissen nicht wirklich, was sie mit PJlern anfangen sollen bzw. es gibt kein geordnetes Konzept, welche Aufgaben man übernehmen soll und welche nicht. Entsprechend muss man sich selbst zurechtfinden und muss auch die eigenen (rechtlichen und fachlichen) Kompetenzen sehr klar abstecken.
Fazit: Universitäres Niveau kann man am Klinikum WHV nicht erwarten - weder in der Lehre noch fachlich von den Ärzten. Jedoch kann man sich viele interessante Interventionen und Gruppen ansehen und ist sehr frei in der Gestaltung des Tertials: selbstständige Aufnahmen und Patientenführung (natürlich immer in Rücksprache mit der Oberärztin) auf der PSY1 oder doch eher eine ruhige Kugel schieben auf der Privatstation geht grundsätzlich beides. Rückblickend wäre ich wohl lieber an ein Uniklinikum in Deutschland oder eine Klinik in der Schweiz gegangen, um fachlich mehr mitzunehmen. Für eine Famulatur wäre das Klinikum jedoch gut geeignet, da man in einem Monat praktisch alles sehen kann, was die Psych zu bieten hat. Wenn man gern ein Tertial am Klinikum WHV machen möchte, kann ich ansonsten die Allgemeinchirurgie hier wärmstens empfehlen, die sich sehr um die PJler und deren Ausbildung kümmert und praktisch nur freundliche und motivierte Ärzte hat.
Bewerbung
Unkompliziert über pj-portal.de als Lehrkrankenhaus der Uni Hamburg (früher Göttingen).