PJ-Tertial Unfallchirurgie in Klinik Gut (3/2022 bis 6/2022)
Station(en)
Es gibt nur eine
Einsatzbereiche
OP, Notaufnahme
Heimatuni
Giessen
Kommentar
Arbeit, Aufgaben, Dienste:
Grundsätzlich ist man in der Schweiz, anders als vielerorts in Deutschland, als volle Arbeitskraft im Dienstplan eingeteilt und wird auch in der Klinik so angesehen. Dieser Zustand hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile sind, dass man nie planlos rumsteht und nicht weiß, was man tun soll, da man feste Aufgaben hat und dabei sehr selbstständig arbeiten kann. Der Nachteil ist, dass man nicht mehr als Lernender angesehen wird, sonder nur "funktionieren" soll. Man bekommt wenig erklärt und es gibt keine Fortbildungen. Auf Nachfrage sind zwar alle freundlich, hilfsbereit und erklären auch mal etwas fachliches, aber selten von sich aus.
Die Arbeitsbelastung hängt sehr stark von der Jahreszeit ab. Die stressigsten Monate sind Dezember bis März mit einer mittleren Wochenarbeitszeit von 50+ Stunden und einzelnen Arbeitstagen von bis zu 15 Stunden. Der Mai/Juni sowie Oktober/November sind Ubergangsmonate, in denen extrem wenig los ist und man sich in der Notaufnahme langweilt und nahezu immer früher heimgeschickt wird, manchmal schon um die Mittagszeit, was in der Windersaison undenkbar wäre. Es dominiert das elektive OP-Programm, was aber auch in der Regel nur bis mittags geht, sodass die Arbeitstage deutlich ruhiger bis hin zu sehr langweilig sind. Die Monate Juni/Juli bis September/Oktober bilden die Sommersaison mit Bike- und Wanderunfällen und sind von der Arbeitsbelastung in der Mitte der beiden anderen genannten Zeiträume anzusiedeln. Insgesamt kommt man aber auch in der Wintersaison gut auf seine Kosten in der Freizeit, da man durch die Nachtdienste viele zusätzliche freie Tage generiert, die man in der Regel auch ohne Schlafmangel genießen kann, weil die Nachtdienste sehr ruhig sind und man häufig durchschläft.
Zu den grundsätzlichen Aufgabenfeldern der Unterassistenten (Schweizer PJler) in der Klinik GUT zählen im wesentlichen zwei Bereiche: Notaufnahme und OP. Diese werden in drei verschiedenen Dienstformen abgedeckt: Tagdienst, OP-Dienst (1. bis 3. Bereitschaft) und Nachtdienst. Briefe schreibt man hier überhaupt garnicht. Es gibt praktisch keinen festen Wochenrhythmus, man wird wild durch den Monat eingeteilt und muss nicht selten am Wochenende arbeiten und hat dafür unter der Woche mehrere Tage frei.
Im Tagdienst (regelhaft 7 bis 19 Uhr) begleitet man zunächst als passiver Protokollant die Visite, die je nach Belegung der 25 Patientenbetten etwa eine Stunde (Spannweite 0,5 bis 1,5 h) dauert. Anschließend verbringt man den Tag in der Notaufnahme. Hier darf man selbstständig Patienten sehen, orthopädisch untersuchen, eine Verdachtsdiagnose stellen, den Patienten zum Röntgen schicken und das Röntgenbild auswerten und mit dem Assistenzarzt besprechen. Das weitere Vorgehen bespricht man dann ebenfalls gemeinsam mit dem Assistenzarzt, man kann sich aber sehr gut selbst überlegen, was zu tun ist und dies dann vorschlagen und bei Zustimmung des Assistenten es auch selber mit dem Patienten besprechen und ggf. Maßnahmen durchführen wie Nähen inklusive Lokal-/Leitungsanästhesie, weitere Wundversorgung, MRI anmelden, seltener schallen oder reponieren etc. Das Arbeiten in der Notaufnahme ist der lehrreichste Teil des PJs in der Klinik GUT, bringt einen fachlich deutlich weiter und bereitet einen sehr gut auf die spätere ärztliche Tätigkeit vor.
Ebenfalls zum Tagdienst gehört die Betreuung der Tagesklinik, also das vorbereiten der geplanten sowie notfallmäßigen Operationen. Dieser Teil der Arbeit ist eher redundant und nervig aber für die Patienten sehr wichtig. Dazu gehört die OP-Aufklärung (alles außer Endoprothesen), die man selbstständig durchführen muss. Hierbei erlernt man je nach Eigeninteresse und Recherche sehr viel über die theoretischen Abläufe der Operationen. Des Weiteren eine immer gleiche orientierende internistische und neurologische körperliche Untersuchung, die eher als Formsache zu verstehen ist und selten Pathologien neu aufdeckt oder eine Konsequenz für die Operation oder den Patienten hat. Schließlich muss man die Krankengeschichte inkl. Voroperationen, Allergien und Noxen im System erfassen und die Hausmedikation des Patienten für die Station verordnen. Je nach notfallmäßigem Opertationsaufkommen kann dieser Teil der Arbeit gerade in der Saison einen großen Teil des Tagdienstes in Anspruch nehmen, sodass man mit Pech nur ein paar Stunden in den medizinischen, lehrreichen Genuss der Notaufnahme kommt.
Der OP-Dienst ist in einem abgestuften Bereitschaftssystem (1. bis 3. Dienst) organisiert. Je nach Bedarf wird der 1. Dienst zuerst gerufen, dann der 2. und zum Schluss der 3., also geht der 1. Dienst nie vor dem 2. nach Hause und so weiter. Der 1. Dienst wird bis auf seltene Ausnahmen von einem Assistenzarzt abgedeckt, der 2. und 3. Dienst von Unterassistenten. Die OP-Bereitschaft in diesem Dienst gilt formal von 7 Uhr für 24 Stunden bis um 7 Uhr am Folgetag, man wird praktisch jedoch nie nachts gerufen und kommt in der Wintersaison spätestens um 22/23 Uhr nach Hause, wenn richtig viel los ist. Wenn morgens geplante Operationen stattfinden, arbeitet man je nach Bedarf und eigener Bereitschaftsstufe das komplette Elektivprogramm bis mittags mit und hält sich ab dann bereit für Notfalloperationen. Kommen keine Notfalloperationen rein oder gibt es sogar kein Elektivprogramm (Wochenende), dann darf man zuhause sein und sich auf Abruf bereit halten. Ich hatte viele 3. Dienste, in den ich gar nicht gerufen wurde. Diese sind dann also freie Tage, an denen man jedoch an sein Zuhause und die unmittelbare Umgebung der Klink gebunden ist, denn man ist in der Hauptsaison verpflichtet, innerhalb von 30 Minuten zu erscheinen. Mein härtester OP-Tag in der Wintersaison ging von 7 bis 22 Uhr.
Die Tätigkeiten im OP-Dienst sind klar definiert. Da es sich um eine kleine Klinik mit einem kleinen OP-Team und nur 2 Sälen handelt, macht man von der Einschleusung bis zur Ausschleusung des Patienten alle Schritte mit. Dies beinhaltet vor allem Unterstützung der Anästhesie (z. B. Patienten bei der Spinalanästhesie halten), lagern (extrem wichtig und vielfältig) sowie nach Ausschleusung des Patienten Reinigung des gesamten Saals. Innerhalb der Operationen ist man die 1. oder 2. Assistenz. Hauptsächlich hält man Haken, saugt und koaguliert ab und zu und selten darf man mal etwas bohren oder hämmern. Nach den Faszien- und Subkutannähten verlässt der Operateur in aller Regel den Tisch und man darf regelmäßig Hautnähte machen. Insgesamt sei aber mit aller Deutlichkeit gesagt, dass man sehr wenig bis keine eigenständige Operationstechnik erlernt und das PJ in der Klinik GUT für chirurgisch-orthopädisch interessierte PJler auf der Operationsebene (nicht in der Notaufnahme!) zu wenig bietet. Die mit Abstand häufigsten Operationen im Elektivprogramm sind Hüft- und Knie-TEP, Arhtroskopien von Knie und Schulter sowie Materialentfernungen und auf der Notfallseite ebenfalls Kniearthroskopien (VKB-Naht/Plastik in der Skisaison mit Abstand die Nummer 1) sowie osteosynthetische Frakturversorgung von Klavikula, Humerus, Radius, Sprunggelenk.
Die Nachtdienste werden ausschließlich von UAs abgedeckt. Man hat ein gemütliches Bett und ein Waschbecken zum Zähneputzen im Assistentenzimmer. Abends hilft man noch dem Assistenten, wenn in der Notaufnahme noch etwas los ist und bereitet anschließend die Visite für den nächsten Tag vor und erledigt kleinere Verwaltungsaufgaben. In der Regel kann man um 21-22 Uhr schlafen gehen und schläft im Idealfall bis 6:30 am nächsten Tag durch. Ab und zu (maximal jede zweite Nacht, eher seltener) kommt nachts ein Patient in die Notaufnahme, um den man sich kümmern muss. Man hat immer den Assistenten am Telefon und kann sich mit ihm beraten, wenn es notwendig wird, kommt er rein. Ein typischer Fall in der Nacht ist ein betrunkener Partygast mit einer Platz- oder Schnittwunde, die man dann betäuben, nähen und verbinden muss. Am Anfang ist dies sehr aufregend, dient aber als sehr gute Vorbereitung für das Berufsleben, da man das Gefühl, mal ganz alleine und der erste Ansprechpartner für den Patienten zu sein, trainieren kann. Am nächsten Morgen muss man noch die ersten 2-3 geplanten OPs vorbereiten (analog zu Tagdienst), bis der UA vom Tagdienst mit der Visite fertig ist und sich selbst darum kümmern kann, sodass man etwa um 8:00-8:30 das Haus verlassen und den freien Tag meistens ausgeschlafenen genießen kann. Es gibt auch eine Dusche in der Klinik, für die, die möchten.
Kollegen, Team, Integration:
Da es sich um eine kleine, eingeschworene Teamgemeinschaft handelt, war es zu Beginn nicht mit allen Mitarbeitern einfach, auf einen grünen Zweig zu kommen bzw. akzeptiert zu werden, da einzelne Mitarbeiter vom sehr schnelllebigen und fluktuierenden Unterassistentensystem (Schweizer PJler in der Regel 2 Monate) genervt sind. Die aller meisten sind jedoch nett und nehmen einen herzlich auf, das gilt sowohl für die Arzt- als auch für die Pflegeseite. Die UA-AA-Gemeinschaft war meistens sehr gut inklusive gemeinsamen privaten Treffen, Essen gehen, Feiern.
Bewerbung, Gehalt, Formales:
Die Bewerbung muss extrem früh stattfinden, Vorlauf etwa 2 Jahre. Die Kommunikation mit der Personalkoordinatorin Madleina Cadisch funktioniert einwandfrei und zielführend. Man verdient 1500 CHF pro Monat, abzüglich Sozialabgaben landen etwa 1350-1400 auf dem (Schweizer!-) Konto. Wenn man kein kostenlosen Konto bei einer der kommunalen Banken eröffnen will, kann man sich den Lohn auch Bar auszahlen lassen. Die Klinik verfügt über 2 WGs, in denen man ein Zimmer für 500 CHF bekommen kann und dort immer mit anderen UAs oder anderem Saisonpersonal zusammen wohnt. Ich selbst habe nicht dort gewohnt, mir wurde aber erzählt, dass die eine WG sehr schön und die andere WG sehr heruntergekommen gewesen sein sollen. Frau Cadisch kann einem entweder "Chirurgie" bescheinigen, in Deutschland also das volle Pflichttertial, obwohl man die bei uns vielerorts verlangte Allgemeinchirurgie hier nicht ablseistet, wird es trotzdem vollwertig anerkannt (im Zweifel bei deinem Prüfungsamt nachfragen), oder aber "Orthopädie", in Deutschland also Anerkennung als Wahlfach möglich. Man kann jeden Tag ein Mittagessen bekommen. Es gibt immer eine kleine Auswahl 2 speziellen Gerichten sowie täglich Pasta oder einen sehr guten Salatteller. Preislich erstreckt es sich von 5 CHF (kleine Pasta) bis 10 CHF (Großes Hauptgericht mit Salatbeilage). Am Sonntag gibt es für jeden Mitarbeiter ein Dessert geschenkt. Die Küche ist verglichen mit Deutschland zwar teuer, aber extrem gut, dies sei ausdrücklich gesagt. Das Mittagessen auf der Terasse in der Sonne mit Blick auf die Berge direkt vor der Nase macht riesen Spaß. Ein anständiger Kaffeevollautomat mit den üblichen Produkten ist den ganzen Tag umsonst.
Freizeit:
Je nach Jahreszeit und Interessen bietet St. Moritz und seine Umgebung extrem viele, tolle Möglichkeiten. Ich kann über die Monate März bis Juni berichten.
Es gibt außerdem ein großes Hallenbad (13 CHF) und 2 Fitnessstudios (80 CHF/Monat ab 2 Monate). Man kann wunderschöne Ausflüge nach Nordditalien und den Lago di Como (90 min) sowie in die italienische Schweiz (Tessin, Lago Maggiore, 2,5 h) und sicherlich noch zu vielen anderen Zielen (Luzern, Zürich) machen. Man hat in der Wintersaison genügend und in den anderen Saisons massig Freizeit dafür zur Verfügung.
Fazit:
St. Moritz und die Klinik GUT bieten ein tolles PJ mit super Freizeitmöglichkeiten in einer atemberaubenden Natur. Die Lernkurve und der Spaß in der Notaufnahme sind groß, im OP deutlich begrenzt. Man arbeitet sehr selbstständig und springt schon vor dem Start ins Berufsleben über seinen Schatten, mal der einzige "Arzt" in der Nacht zu sein und im Zweifel einen Patienten komplett selber zu versorgen. Daher große Empfehlung für spätere Nicht-Chirurgen, hier lernt ihr ein tolles Handwerkszeug für eure spätere konservative Tätigkeit. Für Chirurgie-Interessierte würde ich das PJ hier nur empfehlen, wenn für euch die Freizeit im PJ wichtiger ist als die Arbeit (was meiner Meinung nach absolut legitim ist). Falls ihr aber im OP richtig weiterkommen wollt, sucht euch lieber ein größeres Haus mit mehr Möglichkeiten, sich im OP medizinisch viel einzubringen (nicht nur als Hakenhalter und Lagerungshelfer).