Hier berichte ich euch von meinem Tertial in der Chirurgie in Bergen auf Rügen. Das Krankenhaus ist klein und nach ein paar Tagen kennt man alle Mitarbeiter der Abteilung. Diese besteht aus einer unfallchirurgisch-orthopädischen Station und einer allgemeinchirurgischen. Außerdem ist tagsüber immer ein Chirurg in der Notaufnahme eingeteilt. Als PJler bekommt man ein Zimmer gestellt, das entweder ein Bereitschaftszimmer im Krankenhaus ist oder sich in einem Haus ca. 100m entfernt befindet. Beide Optionen sind vollkommen in Ordnung und - abgesehen von ein paar Utensilien in der Küche - ausreichend ausgestattet für 3,5 Monate. Außerdem bekommt man 200€/Monat und kostenloses Mittagessen. Es gibt auch die Möglichkeit gegen Bezahlung am Wochenende Blutentnahmedienste zu machen und sich Heimfahrten in einem gewissen Rahmen erstatten zu lassen.
Das WLAN ist von wechselnder Zuverlässigkeit. Der PJ-Unterricht hat leider nur sehr sporadisch stattgefunden, war dann aber meistens gut. Ich denke, wenn man dem PJ-Beauftragten des Krankenhauses dies früher rückgemeldet hätte, hätte er sich da auch nochmal hintergeklemmt.
Am ersten Tag bekommt man von der Sekretärin ein eigenes Telefon. Die Arbeitsbelastung ist sehr stark davon abhängig, ob man im Sommer oder Winter dort ist und ob gerade aufgrund von Corona das elektive OP-Programm eingeschränkt ist oder nicht. Zu Tertialbeginn war die Urlaubssaison noch in vollem Gange und so stürmten täglich Horden von Urlaubern, die vom Fahrrad gestürzt waren und sich dabei den Radius oder sonstige Knochen gebrochen hatten, das Krankenhaus. So kam es, dass ich tatsächlich in meiner Zeit auf der Unfallchirurgie nur ein einziges Mal früher gegangen bin und das auch nur, weil ich einen Zug erwischen musste. Durchschnittlich bin ich mindestens 3x/Woche sogar länger geblieben. Ich kann mir aber vorstellen, dass man, wenn man den pünktlichen Feierabend etwas energischer einfordert, diesen auch öfter bekommt.
Die Aufgaben auf dieser Station waren Blut abnehmen und Flexülen legen in meist aushaltbarem Umfang, mit zur Visite gehen, Entlassbriefe schreiben, neue Patienten auf Station oder in der Notaufnahme aufnehmen, Haken/Körperteile halten im OP und ab und zu, wenn es sich ergab, auch mal einen K-Draht entfernen oder kleinere Wunden tackern/nähen.
Da wirklich sehr viel zu tun war, war ich auch tatsächlich ununterbrochen mit Arbeit beschäftigt, sodass es nie dazu kam, dass ich mir eine OP aus reinem Interesse hätte anschauen oder einfach so in die Notaufnahme gehen können. Daher konnte ich leider auch nur sehr selten Patienten in der Notaufnahme selbst zuerst sehen und mich an einer Diagnose versuchen, denn in der Regel wurde ich erst angerufen wenn klar war, dass sie stationär aufgenommen werden mussten und ich das erledigen sollte. Mittagessen war bis auf ganz wenige Ausnahmen immer möglich, sofern man das selbst im Blick behielt.
Bei OPs war ich aufgrund der vielen Aufgaben auf Station immer nur dabei, wenn wirklich ein zusätzliches Paar Hände gebraucht wurde. Daher war ich oft die dritte Frau bei Hüften oder die zweite bei Radiusfrakturen. Ab und zu war der Oberarzt auch so nett und übernahm selbst die zweite Assistenz, sodass ich bei den Hüften auch mal auf der Seite sein konnte, wo es was zu sehen gab. Fragen werden immer gerne beantwortet, im OP und auch bei Visite oder wenn man eine Aufnahme macht. Im Allgemeinen sind alle sehr freundlich und erklären/zeigen auch gerne nochmal Allgemeines wie etwa grundsätzliche orthopädische Untersuchungen. Insgesamt werden PJler hier sehr geschätzt. Man arbeitet zwar viel, aber dies wird auch wahrgenommen und einem wird für jede OP, bei der man geholfen hat, jede Aufnahme und meist auch für jede Überstunde gedankt.
Zur Hälfte des Tertials wechselte ich in die Allgemeinchirurgie. Dort gibt es durchschnittlich meist weniger Patienten und außerdem hat eine Arztassistentin hier die Zügel der Station in der Hand und alle Patienten samt Therapie im Blick. Zudem war es mittlerweile später Herbst, sodass auch die Urlauber deutlich weniger wurden. Wo ich auf der Unfallchirurgie manchmal das Gefühl hatte, dass das ganze System dekompensieren könnte, sobald ich als Briefeschreiberin wegfalle, war dies in der Allgemeinchirurgie nie der Fall. Ich habe dort zwar auch Briefe geschrieben, aber das meiste wurde von der Arztassistentin schon erledigt, bevor ich mir überhaupt einen Überblick über die Entlassungen verschafft hatte und in der Not hätte sie es auch ohne mich geschafft. Ähnlich sah es bei den Blutentnahmen aus.
Zudem bietet sich einem auf dieser Station Tag für Tag eine filmreif skurril-komische Visite mit dem komödiantischen Oberarztduo. Man kann es nicht beschreiben, man muss es einfach erleben - und vielleicht ein Auge dafür haben. Die beiden gehen wohl leider in nächster Zeit in Rente, sodass bedauerlicherweise nicht mehr viele PJler in den Genuss kommen werden. In der Allgemeinchirurgie stand ich so gut wie jeden Tag mit am Tisch, oft auch bei mehreren Eingriffen und fast immer als erste Assistenz. Bei Laparoskopien durfte ich mich als Kamerafrau betätigen. Bei offenen Eingriffen habe ich Haken gehalten und durfte auch öfter bei Interesse mit an den Tisch, obwohl ich eigentlich nicht dringend gebraucht worden wäre. Mein Highlight war, dass ich eine Abszessexzision selbst durchführen durfte. Falls ihr gerne nähen möchtet, rate ich sehr dazu, nicht zu warten, dass es jemand von selbst anbietet, denn sie denken einfach nicht daran. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie was dagegen hätten. Sobald ich gefragt hatte, durfte ich bei beiden Oberärzten und auch beim Chef immer nähen und habe auch noch hilfreiche Tipps dazu bekommen.
In der Allgemeinchirurgie konnte ich oft auch früher Feierabend machen und habe mit der Assistenzärztin zusammen auch mal einen Spätdienst in der Notaufnahme gemacht. Auch auf dieser Station waren wirklich alle sehr nett und man fühlt sich als echter Teil des Teams. Anmerkungen und eigene Ideen können immer ungefragt geäußert werden und werden auch ernst genommen. Wenn Zeit dazu ist, kann man sich auch mal einen Patienten raussuchen, den man sich mal etwas „ganzheitlicher“ vornimmt, also z.B. versucht rauszufinden, warum der eigentlich schon die ganze Zeit eine Anämie hat oder mal den mitgebrachten Medikamentenplan hinterfragt und ggf. nach Rücksprache umstellt.
Insgesamt hat mir die Zeit auf Rügen sehr gut gefallen, auch wenn es teilweise viel Arbeit war. Dazu muss man allerdings sagen, dass der PJler, der zur Hälfte meines Tertials anfing, wohl ein ganz anderes Bild zeichnen würde. Da er nur im Herbst/Winter da war, ist er auch in seiner Unfallchirurgiezeit meist früher gegangen und als dann noch die vierte Welle (aka 1. ernstzunehmende Welle auf Rügen) kam und nicht mehr so viel elektiv gemacht werden durfte, hat er sich sogar manchmal geradezu gelangweilt.
Zur Insel insgesamt muss man wahrscheinlich nicht viel sagen. Bis in den Spätsommer sind natürlich die Strände ein super Freizeitziel. Es gibt aber auch sonst unglaublich viel zu entdecken, wozu es teilweise auch nicht unbedingt warme Temperaturen braucht. Was den öffentlichen Nahverkehr und die Fahrradmobilität angeht, muss ich meinen Vorrednern leider Recht geben. Der ÖPNV ist nicht besonders günstig und man muss für viele Ziele auf der Insel ewig umsteigen. Es gibt zwar ein Radwegenetz, das allerdings merklich für Freizeitfahrer/Urlauber ausgelegt ist. Bergen ist da leider nicht gut angebunden. Trotzdem kommt man, wenn man es wirklich will, überall hin. Es erfordert halt mehr Zeit und Vorausplanung.
Zu erwähnen ist auch die aus meiner Sicht etwas besondere Mentalität auf der Insel (vielleicht auch Umgebung, das weiß ich nicht). Vielleicht bin ich auch einfach als zu naive Schneeflocke aus der großen Stadt hereingeschneit. Jedenfalls kann man sich darauf einstellen, dass hier politische Korrektheit nicht Tugend #1 ist. Falls ihr Impfskeptiker seid oder kein Bock auf Maske im Supermarkt habt, dürft ihr euch dafür aber über überdurchschnittliche Toleranz freuen, die euch entgegen gebracht wird. Zur Verteidigung sollte man bei diesem Thema vielleicht sagen, dass wie oben erwähnt die 1.-3. Welle scheinbar weit an Rügen vorbeigezogen sind und dadurch ein gewisses Unverständnis über die ach-so-schlimme Pandemie zu herrschen schien. Außerdem treffen leugnerische Ansichten natürlich auch auf Rügen auf die meisten Menschen nicht zu, aber die weniger parallel denkende Minderheit war doch etwas größer und in der Mitte der Gesellschaft als an anderen Orten. Dies sei nur als kulturelle Anekdote erwähnt und soll keineswegs das PJ hier schlechter darstellen. Außerdem muss ich ganz ohne Ironie sagen, dass es durchaus eine Bereicherung sein kann, mal Menschen zu treffen, mit denen man so gut wie keine gesellschaftliche oder politische Meinung teilt und doch gut auskommt und gut zusammenarbeitet. Letztlich ist es mir tatsächlich an keinem anderen PJ-Ort am Ende so schwer gefallen zu gehen, was sicher auch an der persönlichen Atmosphäre in der Abteilung lag. Von den Assistenten bis zum Chef und besonders inklusive der Arztassistentin waren alle wirklich freundlich und wertschätzend. Gerade die Zeit auf der allgemeinchirurgischen Station hat mich doch sehr ins Grübeln gebracht, ob Chirurgie nicht doch was für mich wäre, womit ich davor nie gerechnet hätte.