Was soll ich sagen… die Reise in die Schweiz hat sich mit jeder Hürde, die sich geboten hat, gelohnt!
Zur Luzerner Psychiatrie (LUPS) als meinem ersten PJ Tertial kam ich eher durch Zufall, da mein ursprünglich geplanter Auslandsaufenthalt durch die Pandemiesituation für den gegebenen Zeitraum nicht umsetzbar war. Daher habe ich mich sehr gefreut, dass ich trotz kurzfristiger Bewerbung noch einen positiven Bescheid in einer derart schönen Stadt und vor allem einer so beachtlich strukturierten Klinik einer unerwartet interessanten und vielschichtigen Fachrichtung als meinem Wahltertial bekommen habe.
Organisatorisches/Wohnheim
In der Schweiz ist es an so gut wie jedem Spital möglich einen nahegelegenen Platz in einem dazugehörigen Personalwohnhaus zu bekommen. Der Email-Verkehr mit den Schweizern ist unkompliziert und zuverlässig (ebenso, wie die öffentlichen Verkehrsmittel -> falls ihr die Schweiz auch erkunden wollt und nicht mit Auto kommt empfehle ich euch ein Halbtax-Abonnement beim SBB am Bahnhof zu kaufen). Die Zimmer des Personalwohnhauses des Kantonsspitals Luzern sind klein aber komfortabel. Das Bett empfand ich als verhältnismäßig groß. Die Duschkabinen sind zwar auf den Gängen, jedoch platztechnisch vollkommen ausreichend. Es gibt sogar eine Badewanne in einem separaten Raum. Die Gemeinschaftsküche ist solide ausgestattet, hat jedoch keinen Ofen. Außerdem gibt es auf jeder Etage einen großen Balkon und auf dem Dach eine riesige Terrasse mit einem tollen Blick über Luzern. Eine Auskunft zu allen Formalitäten (Aufenthaltsbewilligung etc.) bekommt man vom Personalwesen bei der Abwicklung von Arbeits-/Mietvertrag. Die obligatorischen Behördengänge waren nicht mit viel Zeitaufwand (vor allem im Sinne von Wartezeit) verbunden. Alle Menschen arbeitstechnischer/organisatorischer Natur begegneten mir mit aufgeschlossener Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft (die Hauswärterin schaut zwar etwas grimmig drein, ist aber im Umgang auch verständig und liebenswürdig). Ich empfehle euch ein Schweizer Bankkonto anzulegen und euch euer Gehalt darauf überweisen zu lassen, um lästige Gebühren zu umgehen und dann mit eurem dort verdienten Geld wirtschaften zu können. Die Zimmer sind immer zum Anfang oder zur Mitte des Monats mietbar und kosten als Angestellter der LUPS ca. 500CHF. Falls ihr mit dem Auto anreist, dann kümmert euch gleich am Anfang um einen Parkplatz. Am besten ist das Angebot (Parkzone Z) etwa 10min zu Fuß vom Spital weg etwas abseits für 60-80CHF pro Monat zu parken (in der Schweiz gibt es keine dauerhaft kostenfreien Parkmöglichkeiten). Ein Aushang dazu war im Eingangsbereich des Wohnhauses zu finden.
Klinik und Team
An meinem ersten Tag wurde ich sehr freundlich begrüßt und erhielt eine ausführliche Einweisung in die Abläufe und Struktur der Einrichtung. Ich bekam ein eigenes Büro, ein eigenes Dienst-IPhone, einen Zugang für das PC-Programm und fühlte mich als vollwertiges und respektiertes Mitglied des Teams. Stück für Stück bekam ich einen Überblick darüber, wie die Klinik funktionierte, was von mir erwartet wird und worauf die Station Wert legt. Die Hierarchie in der Schweiz ist zwischen allen Instanzen vom Famulus bis zum Chefarzt sehr flach, man duzt sich (was, im positiven Sinne, anfangs sehr gewöhnungsbedürftig war) und wird auf Augenhöhe behandelt (auch dies war für mich eine relativ neue Erfahrung). Dennoch ist es aus meiner Sicht wichtig, dass man den Willen hat sich aktiv in das Team zu integrieren und lernen/produktiv sein möchte. Die Schweiz ist eine Leistungsgesellschaft, die vor allem Lebensqualität und einem harmonischen/funktionierenden Miteinander einen hohen Stellenwert zuspricht. Mein Tagesablauf begann mit dem morgendlichen Rapport um 8 Uhr. Dort wurde sich mit dem Diensthabenden über die Vorkommnisse der vergangenen Nacht ausgetauscht und etwaige Anliegen angesprochen. Danach gingen alle auf ihre Stationen (insgesamt 3 in akutpsychiatrischem Setting) und es wurde eine Morgenrunde mit den Patienten und Pflegekräften zusammen abgehalten, in der der Tagesablauf und Anwesende verlesen, sowie eine Achtsamkeitsübung durchgeführt wurde. Im Folgenden besprachen sich die ärztlichen Kollegen mit der Pflege zu jedem Patienten, möglichen Ein-/Austritten etc. Meistens wurde gemeinsam gefrühstückt und guten Kaffee gab es auch immer (jeweils 5CHF pro Monat an die Station für Kaffee und leckerem/liebevoll angerichtetem Frühstücksbuffet, freitags sogar mit selbstgebackenem Zopfbrot). Das Mittagessen wurde gemeinschaftlich celebriert und in einem der drei zur Auswahl stehenden Mensen abgehalten (italienisch, asiatisch und im Kantonsspital direkt die schweizweit beste Mensa 2021). Meine Aufgaben waren zunächst die Erhebung des Somatostatus und das Dokumentieren der Anamnesen und Standortgespräche, denen ich zunächst nur beigewohnt, später auch selbst geführt habe. Nach etwa einem Monat wurde ich gefragt, ob ich mir eigene Patienten zutrauen würde und ich nahm mich dieser Aufgabe mit Begeisterung an. Alles geschah in Rücksprache mit der Oberärztin und ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl Angst haben zu müssen eine blöde Frage zu stellen. Außerdem nahm ich in dem Zeitraum an 4 sehr interessanten Fortbildungen teil, für die ich jeweils auch Teilnahmebestätigungen mit Credit Points erhielt. Die Erfahrungen, die ich sammeln konnte, sowohl im 1:1 Umgang mit den psychisch erkrankten Patienten, in Notfallsituationen, als auch den Genesungsprozess einiger Patienten waren für mich persönlich wirklich weitaus umfangreicher, als das, was ich mir unter einem PJ-Tertial in der Psychiatrie vorgestellt habe. Auch für überzeugte Internisten oder Chirurgen kann ich nur empfehlen wenigstens einmal für ein paar Monate die Luft auf einer teils geschlossenen Akutstation zu schnuppern und den Menschen auch mitsamt seines psychischen Erkrankungs-/Heilungsprozesses zu betrachten.
Land und Leute
Da ich freitags schon nach dem gemeinsamen Mittagessen in das Wochenende starten durfte habe ich die Zeit genutzt und das Land erkundet. Ob Zürich, Bern, Basel, Interlaken, Baden, Engelberg, Entlebuch, Davos, Schwyz, Zug oder das nähere Umland von Luzern alles ist wirklich sauber, sehenswert und irgendwie herzig. Da Luzern direkt am Vierwaldstätter See liegt ist es dort im Sommer bestimmt auch traumhaft schön. Ich konnte mich im Winter jedoch auch nicht über Langeweile oder einen Mangel an Aktivitäten beklagen. Mit mitgebrachten Skiern, Snowboard und Schlittschuhen hatte ich gute Voraussetzungen für sportliche und abwechslungsreiche Wochenenden. Das Nachtleben ist in Luzern als Touristenstadt auch nicht zu bemängeln, es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Falls einem das noch nicht reicht, liegt Zürich auch nur eine halbe Stunde mit dem Zug entfernt. Im Personalwohnhaus war es außerdem einfach Kontakte zu knüpfen und dann gemeinsam Unternehmungen zu planen. Einen Haken an der Unternehmung Schweiz gab es jedoch und ich denke jeder hat schon mal davon gehört, dass die Schweiz wirklich unverhältnismäßig teuer für deutsche Studenten ist… das stimmt. Dementsprechend mit Halbtax fahren, Equipment wenn möglich mitbringen, zum Einkaufen gerne auch mal über die Grenze fahren und bloß nicht mit EC-Karte, sondern nur mit Bargeld in den Club gehen.
Bewerbung
Der psychiatrische Formenkreis erfreut sich immer größerer Beliebtheit und Relevanz, daher denke ich, dass die Bewerbungsfristen bald längere Zeitspannen umfassen werden. Ich habe mich etwa ein halbes Jahr im Vorfeld beworben und hätte auch später noch gute Chancen auf eine Unterassistentenstelle gehabt.