Chirurgie: Hier hat sich im Vergleich zur letzten Bewertung vieles geändert. Es gibt einen neuen, jungen Chef, der für flachere Hierachien sorgt, gerne und viel erklärt und dabei die UnterassistentInnen sowohl im Rapport als auch in den OPs mit einbezieht. Außerdem ist eine der Oberärztinnen nun als Ansprechpartnerin für die PJlerInnen (CH: UnterassistentInnen) eingeteilt. Es gibt einen festen Rotationsplan für die beiden chirurgischen Stationen sowie die Notaufnahme. Dadurch ist man deutlich besser in die Arbeit der AssistenzärztInnen eingebunden und kann je nach Eigeninitiative viel helfen, lernen und eine gute Zeit mit den AssistenzärztInnen haben. Mittlerweile wurde das ehemalige Büro der UnterassistentInnen, das sich auf einer anderen Station befand, geräumt und die PCs neben denen der AssistenzärztInnen auf den jeweiligen chirurgischen Stationen aufgebaut. In den Stationswochen hat man auch regelmäßig die Möglichkeit in den OP zu gehen bzw. grundsätzlich werden nahezu täglich UnterassistentInnen im OP gebraucht. Hier teilt man sich selbst in Absprache mit seinen KollegInnen ein. Ich persönlich habe keine großen chirurgischen Ambitionen und fand die OPs, die ich sehen konnte mehr als ausreichend.
Pickett-Dienste: Diese OP-Bereitschaftsdienste besetzen die chirurgischen und gynäkologischen UnterassistentInnen gemeinsam (wobei die Motivation der Gynis häufig etwas zu wünschen übriggelassen hat). Man muss jeden Tag des Jahres abdecken, also auch Wochenenden und Feiertage (Vergütung generell 3 CHF/h, 6 CHF/h, wenn man wirklich im Einsatz ist). Das kann je nach Besetzung schon mal stressig werden. Tatsächlich gerufen wird man aber eher selten und kann nach einem akribischen Blick auf die Notfallspur auch mal für ein Abendessen nach Konstanz ausreißen und im Fall der Fälle etwas kräftiger in die Pedale treten, um pünktlich im Saal zu stehen.
Neu ist ebenfalls, dass die chirurgischen UnterassistentInnen im Wochenendpickett zur Unterstützung des/der Assistenzarztes/ärztin mit in die Notaufnahme gehen (CH: auf den Notfall). Super anstrengend, aber auch super lehrreich!! Im Nachhinein definitiv die beste Zeit: Wenn man fleißig Anamnesen macht, halbwegs gründlich untersucht und vor allem gut und schnell dokumentiert, ist einem die ewige Dankbarkeit in Form von vielen ausgegeben Kaffees und Eis (CH: Glace) der AssistenzärztInnen sicher! Allgemein habe ich persönlich auf dem Notfall mit Abstand am meisten gelernt, hier darf man neben vielen Wundversorgungen durchaus auch etwas komplexere Patienten sehr eigenständig betreuen mit allem was dazugehört. Die organisatorischen Voraussetzungen sind durch adäquaten IT-Zugang und eigenes Telefon ohnehin gegeben. Nicht unerwähnt lassen möchte ich den guten Kontakt zu den Internisten (Medizin), den man auf dem Notfall durch das gemeinsame Büro schnell aufbauen kann. Wenn auf der Chirurgie mal wieder schlechte Stimmung herrschte, wurde ich dort immer sehr herzlich aufgenommen. #nurLiebe dafür!!!
Tagesablauf: Ein normaler Arbeitstag auf Station startet um 7:10 mit einer Besprechung (CH: Rapport) durch die Pflege, der lohnt sich, wenn man ein bisschen was über die Patienten auf der Station wissen und eingebunden sein will. Um 7:30 ist dann Röntgenrapport, spätestens hier sollte man anwesend sein. Ab 8 bzw. 8:15 startet dann der reguläre OP-Betrieb oder man geht auf Station. Hier sind die UnterassistentInnen für die elektiven Aufnahmen (CH: Eintritte) zuständig (kurze Anamnese, kurze Untersuchung, Anordnungen). Visite ist meistens am Vormittag, die quetschen die AssistenzärztInnen zwischen ihre OPs und sind dankbar über fleißige MitschreiberInnen. Einmal die Woche ist Oberarztvisite, ebenfalls einmal die Woche Chefvisite.
Montagsmorgens ist im Anschluss an den Röntgenrapport eine Pflichtfortbildung, bei der es Croissants (CH: Gipfeli) und O-Saft gibt. Dienstags ist mittags ein Journal Club mit Pizza (einziger Nachteil, den müssen die UnterassistentInnen halten :D). Mittwochs gibt es zwischen 17-18 Uhr eine allgemeine Fortbildung wechselnder Fachrichtungen, Dr. Renzulli betont wöchentlich auf die immer gleiche Art und Weise, dass diese Fortbildung für die chirurgischen UnterassistentInnen obligatorisch ist (war meistens ganz spannend, kann man sich aber trotzdem ab und zu schenken). Donnerstags finden in unregelmäßigen Abständen Vorträge der Schweizer Blockstudenten statt, zu denen man allein aus kollegialen Gründen gehen sollte. CAVE: Auch hier ist Dr. Renzulli höchst motiviert und animiert sehr gerne zum Fragen stellen, man sollte also nicht ganz unvorbereitet erscheinen. Wenn keine dieser Fortbildungen stattfindet, kann man nach dem Nachmittagsrapport gehen (meist zwischen 15:30 und 16 Uhr).
In der Notfallwoche hat man eine Art Spätdienst und kommt von 13-21 Uhr. An den Pickettwochenenden kommt man zum Rapport um 10:30 und bleibt je nach Bedarf in Absprache mit dem Assistenten bzw. wenn man im OP gebraucht wird.
Spital: Das Spital ist sehr gut ausgestattet und modern mit einer Digitalisierung von der man in Deutschland nur träumen kann. Das Essen ist zwar teuer (8 CHF vegetarisch), aber verhältnismäßig gut und auf der Sonnenterasse mit Bodenseeblick lässt es sich sehr gut aushalten (CAVE: immer eingecremt und mit Sonnenbrille kommen, ich hab den ein oder anderen Sonnenbrand kassiert :D). Man hat regelmäßig die Möglichkeit zu Essen, Kaffee zu trinken oder sich ein Eis zu gönnen und das meistens in guter Gesellschaft. Das generelle Klima unter den Mitarbeitern ist sehr gut (CH: tiptop) und familiär. Man hat sowohl vom Notfall als auch aus den OP-Sälen Blick auf den Bodensee – besser geht es kaum und hilft beim Stressabbau (siehe Foto). Arbeitskleidung wird gestellt und kann von einem Automaten 24/7 bezogen werden.
Wohnen: Man kann in einem der Personalwohnhäuser auf dem Spitalcampus wohnen (Kosten: 300-400 CHF inkl. Guest-WLAN). Die Zimmer sind relativ alt, aber völlig okay, man hat sehr kurze Arbeitswege und das Gefühl auf einem kleinen Bauernhof zu leben (Kühe und Ziegen vor dem Fenster, Hofladen mit Eiern von den Spitalhühnern). Je nach Zimmer hat man einen Blick auf den See oder die Berge und manchmal hört man abends vorm Einschlafen die Kuhglocken klingeln – mehr Schweiz- Feeling geht nicht! Pro-Tipp: Mit Leuten aus den Wohnheimen mit Dachterrasse anfreunden und einen super Blick genießen!
Umgebung: Perfekt zum Joggen, Segeln, Radfahren oder Schwimmen. Ein eigenes Fahrrad ist von großem Vorteil, dann kann man sein hart verdientes Geld auch schön im deutschen Aldi in Konstanz investieren. ÖV-Anbindung ist auch ziemlich gut, eine Haltestelle gibt es direkt vorm Spital.
Zusammenfassend kann ich das Kantonspital Münsterlingen für das PJ sehr empfehlen. Die Chirurgie zu großen Teilen auch; „eine hohe Toleranz in Hinblick auf Stress [, lange Arbeitszeiten] und kleinere persönliche Demütigungen“ (Zeitung Marburger Bund zum Thema faires PJ, irgendwann Anfang 2022) gehört in den operativ-tätigen Fächern ja wohl leider zu den generellen Anforderungen an PJlerInnen - ganz egal, wo man die chirurgische Zeit hinter sich bringt. Die AssistenzärztInnen waren ohnehin zu 99% super cool, das stereotype chirurgische Verhalten war unter den OberärztInnen mehr oder weniger ausgeprägt, befand sich aber u.a. durch den neuen Chef (und einem neuen Oberarzt aus Heidelberg, der wirklich top erklärt hat und mega freundlich war) auf dem Weg der Besserung!