Für alle, die sehr an Notfallmedizin und humanitärer Medizin interessiert sind kann ich ein Tertial am Mitchells Plain Hospital (MPH) und Heidevelt Emergency Centre (HEC) in höchstem Maße empfehlen.
Hauptpräsentationen der Patienten sind Stich- und Schusswunden, Communtity Assaults (häufig mit vielfachen Frakturen und Crush Injury durch Rhabdomyolyse), Verbrennungen und Verkehrsunfälle und Tuberkulose plus HIV/AIDS-assoziierte Erkrankungen, Schlaganfälle und gynäkologische sowie psychiatrische Erkrankungen.
Man ist fester Teil eines Ärzteteams und rotiert mit diesem durch alle Schichten, welche 8-14 Stunden gehen. Man arbeitet immer drei Wochen am Stück (etwa 80h/Woche, nur drei Tage frei) und hat dann eine Woche frei. Die Arbeitslast und Zahl an (häufig schwer verletzten/erkrankten) Patienten ist enorm und selbst mit den meisten anderen Krankenhäusern in Kapstadt nicht zu vergleichen.
Man sieht nach einer kurzen Eingewöhnungs-/Orientierungsphase seine eigenen Patienten, untersucht diese, ordnet Röntgenuntersuchungen/Laboruntersuchungen an und dokumentiert alles. Den Plan bespricht man dann mit einem der Ärzte und dann geht es auch schon weiter mit dem nächsten Patienten 😊 Als Sprache reicht Englisch normalerweise, nur sehr wenige Patienten sprechen ausschließlich Afrikaans oder Xhosa.
Die täglichen Prozeduren gehen von Wunderversorgung jeglicher Art (Nähen, häufig auch im Gesicht, Lippen, Ohren..; Tackern, Hundebisse, Schusswunden, offene Frakturen) über Thoraxdrainagen, Pleura- und Aszitespunktionen, Lumbalpunktionen, transurethrale und suprapubische Blasenkatheter, Zugänge und (zentral-)venöse sowie arterielle Blutentnahmen, Gipsen, POCUS, Reanimation, Beatmung/Atemwegssicherung u.v.m.
Thoraxdrainagen sind an der Tagesordnung, während meinen Schichten gab es auch zwei Notfall-Thorakotomien, zwei Perikardpunktionen und eine Koniotomie, wo man jeweils an vorderster Front mit dabei ist.
Aufgeteilt ist die Notaufnahme in Resus (Schockraum mit vier Betten), Majors (Patienten die zu krank sind um zu sitzen, MPH 20 Betten und HEC 10 Betten, häufig sind aber pro Bettenplatz 2-3 Betten zusammengepfercht) und Minors (alle Patienten die sitzen können, häufig in der „Nebs“ Sektion an Sauerstoff). HEC ist eine große Halle, separat ist nur ein „Fracture-Room“ und ein Zimmer für (häufig zum Selbst- und Fremdschutz fixierte) psychiatrische Patienten sowie ein Isolationszimmer für Patienten mit MDR oder XDR-Tuberkulose (normale TB-Patienten werden hier nicht isoliert, gleiches gilt auch für Meningitis). Ansonsten gibt es hier noch einen Overnight-Ward (ONW) (ca. 30 Betten, hier können Patienten aufgenommen werden, die keiner besonders spezialisierten Behandlung bedürfen oder intensivpflichtig sind. Tagsüber gibt es eine angeschlossene Day-Clinic (daher kümmert man sich v.a. um „richtige“ Notfälle, da die grün triagierten Patienten dort hingeschickt werden). Es gibt nur die (meist zwei) Ärzte für das EC und den ONW, keinen OP, keine Intensivstation, etc. Consultants kommen nachts eigentlich nur für die Unterstützung bei Thorakotomien rein.
Am MPH gibt es natürlich einen OP, jedoch nur einen Chirurgen nachts, daher sind die Patienten meist länger erst mal im Schockraum. Am HEC gibt es kein CT, am MPH nur tagsüber, daher müssen die (eigentlich täglichen) Patienten mit schwerem SHT dann ans Groote Schuur Hospital verlegt werden. Der Rettungsdienst braucht meist viele Stunden, bis er (selbst intubiert-beatmete) Patienten abholt.
Allgemein wird man immer wieder zum Improvisieren angeregt, da Geräte häufig nicht funktionieren oder Material fehlt.
Security-Personal ist rund um die Uhr vor Ort. Um zum MPH/HEC zu kommen benötigt man auf jeden Fall ein Auto und sollte darauf achten, immer genug Benzin im Tank zu haben etc.. Wie mein Autovermieter (ULFs Car Rental, korrekter Typ mit den besten Preisen) so schön sagte: „Selbst wenn du einen Platten hast musst du auf jeden Fall trotzdem weiterfahren, lieber eine kaputte Felge als dort überfallen zu werden.“
Am MPH ist eigentlich immer extrem viel los, ein Dauer-Massenanfall-von-Verletzen/Erkrankten. Das kann sehr anstrengend werden auf die Dauer. HEC unterscheidet sich von den Patientenpräsentationen nur unwesentlich (aber deutlich mehr penetrierende Verletzungen des Brustkorbes/“Cardiac Box“) und ist nicht immer maximal „on fire“, weshalb ich das Arbeiten dort angenehmer fand. Aber dafür ist man dort eben auch alleine mit den zwei Ärzten (natürlich auch die Krankenschwestern (welche leider häufig keine besonders gute Ausbildung haben), der Porter und der Radiographer), wenn also gleichzeitig viele Patienten mit Schusswunden o.Ä. kommen ist man dafür umso mehr am Rotieren (keine Ahnung, was passieren muss, damit man dort notfallmäßig zusätzliche Ärzte bekommt, mein Gefühl sagt mir unter Flugzeugabsturz kommt da außerplanmäßig niemand).
Man sollte seine eigenen Scrubs, Venenstauer, Schutzbrille, Schere (z.B. Leatherman Raptor zum Aufschneiden von Klamotten, gibt dort keine Scheren…), Reflexhammer, Stethoskop, abwischbare Schuhe, ein portables Pulsoximeter (die in Resus funktionieren oft nicht) und viele (sehr viele!) schwarze Kugelschreiber zum Dokumentieren mitbringen.
Gewohnt habe ich in Claremont, was ziemlich günstig gelegen ist zwischen City Bowl und MPH (gefunden über die Facebook Gruppe „Huis Huis“).
Wenn man dann die jeweils drei Wochen irgendwie überstanden hat und sich von dem post-hell-week-Delirium erholt hat, sollte man natürlich Südafrika auch noch etwas erkunden 😊
Hier bieten sich an: Die verschiedensten Strände Kapstadts, Botanischer Garten Kirstenbosch und Stellenbosch, Wine tasting, Robben Island, Victoria and Alfred Waterfront, Table Mountain, Lions Head, Devils Peak, Signal Hill, Cape Point, die gesamte (!) Kap-Halbinsel, Pinguine am Boulders Beach und Stony Point, Clarence Drive und Chapmans Peak Drive (spektakuläre Straßen direkt an der Küste), Hermanus (Whale-Watching), Langebaan (incl. Westcoast Nature Reserve), Yerfontein und Paternoster, Paarl, Franschoek, und natürlich die famose Garden-Route (ich bin über die Clarence Drive nach Hemanus und dann nach Gansbaii, Struisbaii incl. Kap Agulhas, Mossel Bay, George, Wilderness, Plettenberg Bay, Knysna, Oudtshoorn und dann durch die Little Karoo nach Barrydale gefahren).
Am MPH/HEC ein PJ-Tertial zu machen ist sehr intensiv. Wen das jedoch nicht abschreckt, der wird mit einmaligen Einblicken in die Notfallmedizin und dem Vertrauen einer äußerst vulnerablen Patientenpopulation belohnt.
Bei Fragen dürft ihr euch sehr gerne bei mir melden.
Wichtige Links:
Infos zum Krankenhaus und Bewerbung (mindestens zwei Jahre im Voraus, 60.000 ZAR für 4 Monate): http://www.healthelectives.uct.ac.za/mitchells-plain-hospital
Videodokumentation einer Schicht: https://www.youtube.com/watch?v=EvIj4tU2ZoY
Bewerbung
2 Jahre im Voraus
http://www.healthelectives.uct.ac.za/mitchells-plain-hospital