PJ-Tertial Notfallmedizin in Victoria Hospital (1/2023 bis 3/2023)
Station(en)
Emergency Centre
Einsatzbereiche
Notaufnahme
Heimatuni
Wien (Oesterreich)
Kommentar
Ich habe 4 Wochen als freiwillige Famulatur im Emergency Centre des Victoria Hospital in Kapstadt verbracht und habe die Zeit sehr genossen – insgesamt absolute Weiterempfehlung! Da sich die Tätigkeit als Elective Student in Südafrika nicht zwischen Famulatur und (K)PJ-Tertial unterscheidet, gilt dieser Erfahrungsbericht natürlich auch uneingeschränkt für das (K)PJ.
Lehrkrankenhäuser der University of Cape Town (UCT)
Da ich vor meinem Aufenthalt in Kapstadt keine Ahnung von den verschiedenen Lehrkrankenhäusern hatte, hier eine kleine Auflistung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
:: Goote Schuur Hospital: einziger Maximalversorger und Universitätsklinikum in Kapstadt, bekannt durch die weltweit erste Herztransplantation 1967 durch Dr. Christiaan Barnard, bietet alle Fachrichtungen, aber auch die üblichen Mängel in der Lehre in einem Universitätsklinikum
:: New Somerset Hospital: Krankenhaus der Basisversorgung direkt an der Waterfront, von der Location sicherlich das beste Krankenhaus im Bezug auf das Stadtzentrum
:: Red Cross Children’s Hospital: Schwerpunktkrankenhaus für alle pädiatrischen Angelegenheiten
:: Mitchells Plain Hospital: Krankenhaus der Basisversorgung im größten Township (Armutsviertel) Kapstadts, sicherlich die höchste Exposition gegenüber Schuss- und Stichverletzungen und Trauma in Kapstadt, Nachteil: Mietauto oder verlässliche Fahrgemeinschaft unbedingt notwendig, ansonsten ist das Krankenhaus schwer zu erreichen
:: Victoria Hospital: siehe nachstehender Erfahrungsbericht
Von (Arbeits-)Zeit und Freizeit
Grundsätzlich obliegt es jedem internationalen Elective Student selbst, das Ausmaß seiner Anwesenheit im Krankenhaus zu bestimmen. Freinehmen kann man sich so viel und solange man will und unterschrieben wird grundsätzlich alles. Das gilt, mit wenigen Ausnahmen, für alle Abteilungen in allen Krankenhäusern in Kapstadt. Einige meiner deutschen PJ-Kollegen haben das Freinehmen derart perfektioniert, dass sie teilweise wochenlang während ihres Tertial nicht im Krankenhaus anzutreffen waren. Aber ein Wort der Vorsicht: Auch wenn es durch die oben gelebte Praxis möglich ist, sich in Kapstadt ein PJ-Tertial durch die Studiengebühren zu „kaufen“, ohne jemals im Krankenhaus gewesen zu sein, sollte man sich seinen Respekt und Wertschätzung durch die südafrikanischen Ärzte durch regelmäßige Anwesenheit verdienen (sonst wird man nämlich nicht/kaum in die Lehre miteinbezogen).
Victoria Hospital Wynberg
Das Victoria Hospital ist ein kleines Krankenhaus der Basisversorgung im Vorort Wynberg südlich des Tafelberges mit Abteilungen für Chirurgie, Anästhesie, Orthopädie, Pädiatrie (ohne Neonatologie), Innere Medizin und einer Notaufnahme (Emergency Centre). Man sollte sich bewusst sein, dass das Victoria Hospital schon weit außerhalb des touristisch interessanten Stadtkerns liegt, ca. 30 Minuten Fahrt mit dem Auto, für die Krankenhäuser in Kapstadt aber eine nicht unübliche Pendeldistanz.
Emergency Centre
Die Notaufnahme des Victoria Hospital sieht monatlich ca. 2.500-3.000 Patienten und ist im wahrsten Sinne des Wortes interdisziplinär. Eine Trennung zwischen innerer Medizin und Unfallchirurgie/Traumatologie, wie sie in Zentraleuropa üblich ist, gibt es hier. So ist es nicht unüblich, dass man von STEMI, Insult oder exazerbierter COPD nahtlos zu Stichwunde oder Fraktur wechselt. Dazu gesellen sich Patienten aller Fachrichtungen: Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie, Auge, HNO, Dermatologie. Alles wird von Emergency Physicians gesehen, diagnostiziert und therapiert, bevor die Patienten dann ggf. an die entsprechenden Abteilungen weiterverwiesen werden.
Räumlich gliedert sich das Emergeny Centre in verschieden Bereiche: Resus (Schockraum mit 4 Behandlungspositionen), Majors („Bettenstation“ in Turnhallengröße mit Vorhangtrennung – hier werden Patienten für max. 24 h zur Überwachung und Therapie aufgenommen, bevor sie entweder entlassen werden oder von anderen Fachrichtungen übernommen werden), Respiratory (Raum mit Sauerstoffanschlüssen – hier werden sitzende und gehfähige Patienten versorgt, die Sauerstoff benötigen, aber zu gut für ein Bett sind), Treatment (Behandlungsraum mit 2 Positionen zum Nähen, Gipsen etc.), Consultation Rooms (ganz normale Arztzimmer), Triage Area, Waiting Room etc.
Das Ärzteteam arbeitet im 4 Schichtsystem, wobei sich die Schichten teilweise überlappen. Montag bis Freitag sind von 7:30 Uhr bis 15:30 Uhr sind auch immer 2 Consultants („Oberärzte“) anwesend, von denen sich immer einer für die studentische Lehre verantwortlich zeichnet. Insgesamt ist die Hierarchie flach und die Ärzte alle sehr umgänglich. Es besteht viel Interesse an Lehre. Durch das System „der eigenen Patienten“ (siehe unten) bekommt man auch kontinuierlich Feedback. Sobald man in Scrubs unterwegs ist, wird man von allen (Patienten, Pflege und teilweise sogar auch von den Ärzten selbst) nicht ganz korrekt als „Doctor“ bezeichnet (ich habe es irgendwann aufgegeben, dass zu korrigieren). Im Victoria Hospital ist man im Gegensatz zu Notaufnahmen in anderen Krankenhäusern in Kapstadt nicht a priori in das Dienstrad der Ärzte eingebunden und orientiert sich dadurch grundsätzlich an den Dienstzeiten der Consultants (Mo-Fr 7:30 bis 15:30 Uhr). Man darf aber jederzeit so viel Spät- und Nachtdienste mitmachen, wie man möchte. Zur Pflege hat man eher weniger Kontakt, im europäischen Vergleich sind die Pflegekräfte leider eher schlecht ausgebildet und wenig selbstständig. Auch ist das Verhältnis der Ärzte/Pflege liegt in Südafrika eher bei viele Ärzte und wenig Pflege pro Schicht. Vieles, was in Europa durch die Pflege oder andere Berufsgruppen erledigt wird (Blutabnahmen, Venenzugänge, Gipsen etc.), machen in Südafrika die Ärzte selbst (was für das Skills Training aus studentischer Sicht allerdings gar nicht so schlecht ist).
Alle Patienten melden sich beim Schalter an und werden dann in 4 Farbkategorien (grün, gelb, orange, rot) triagiert und dann entsprechend von den Ärzten gesehen. Hier kann man sich dann genauso wie die ärztlichen Kollegen den Folder (gesamte Dokumentation ist noch auf Papier) eines Patienten schnappen, den man dann zunächst eigenständig und später gemeinsam mit einem Assistenz- oder Facharzt betreut. Anschließend erhebt man Anamnese und untersucht die Patienten, erstellt eine Verdachtsdiagnose und einen ersten Behandlungsplan. Teilweise kann man auch schon selbstständig weitere Diagnostik anordnen oder selbst durchführen (Röntgen, BGA, EKG, Point-of-Care-Ultraschall). Im Anschluss dokumentiert man alles und stellt den Patienten einem Assistenz- oder Facharzt vor. Die „Presentation“ der Patienten ist für die Südafrikaner einer große Sache, auf die viel Wert gelegt wird. Anstatt wie in Europa üblich zu sagen: „Hier ist Patient X mit Beschwerde Y, hat vermutlich Diagnose Z.“, hören die südafrikanischen Ärzte gerne eine vollständige und strukturierte Präsentationen mit Anamnese, Untersuchungsbefund, Verdachtsdiagnosen inkl. Differentialdiagnosen und Behandlungsplan sowie bereits durchgeführter Diagnostik. Im Anschluss sieht man den Patienten mit dem Assistenz- oder Facharzt gemeinsam, der sich dann selbst ein Bild macht (= direktes Feedback für den Studenten). Danach kümmert man sich gemeinsam um weitere Diagnostik, Therapie, Dokumentation/Aufnahme/Entlassung. Wenn Interventionen notwendig sind, kann man, wenn man möchte, assistieren oder diese sogar selbst durchführen. Für praktische Tätigkeiten gilt in Südafrika „See one, do one, teach one.“ So kann man z.B. Lumbalpunktionen und arterielle BGAs durchführen, Frakturen und Luxationen einrenken und natürlich ganz viel gipsen und nähen. Ebenfalls hat man die Möglichkeit seine Ultraschallfertigkeiten weiterzuentwickeln, da Ultraschall eine der wenigen Bildgebungsmodalitäten ist, die in Südafrika problemlos und zeitnah verfügbar sind.
Insgesamt kann man selbst entscheiden, wo man den Fokus setzten möchte (eigene Patienten/klinisches Denken oder Therapie/Interventionen). Durch die Schlagwörter der Triage kann man auch Patienten nach Fachrichtungen filtern, je nachdem, was einen am meisten interessiert. Notfallmedizin in Südafrika ist in vielen Facetten einzigartig. Und sobald man die ersten Hürden (Medical English, Kennenlernen des Systems, Papierdokumentation etc.) überwunden und sich eingelebt hat, hat man im Emergency Centre die Zeit seines Lebens. Die Kombination aus Trauma (Stich- und Schussverletzungen, Community Assaults, Vekehrsunfälle), Infektionskrankheiten (Tuberkulose, HIV) und mangelnden Ressourcen (Labor, Bildgebung, Medikamente, interventionelle Therapien) ist weltweit einzigartig. Man lernt zu improvisieren. STEMIs werden in Südafrika z.B. alle lysiert, da es defacto kein PCI-Netzwerk gibt, um nur ein Beispiel zu nennen.
Zuletzt noch eine Abschlussbemerkung zum Victoria Hospital: Wynberg ist für südafrikanische Verhältnisse eher eine gehobenere Wohngegend und gilt als verhältnismäßig sicher. Dementsprechend geringer ist auch die Exposition gegenüber Gewaltverbrechen im Victoria Hospital, wobei man natürlich genauso mit Stich- und Schussverletzungen und Community Assaults konfrontiert ist, jedoch in viel geringerem Ausmaß als in den Townships. Wer also „harte“ interventionelle Notfallmedizin (Thoraxdrainagen, Koniotomien, Thorakotomien, Perikardpunktionen) sucht, sollte eher in die Townships gehen (z.B. Mitchells Plain Hospital).
Organisation
Kapstadt und Südafrika im Allgemeinen sind nicht gerade bekannt für gut organisierte Auslandsaufenthalte. So ist es keine Seltenheit, dass Mails monatelang nicht beantwortet werden (sofern sie überhaupt beantwortet werden). Alle Infos zur Bewerbung gibt es unter http://www.healthelectives.uct.ac.za/. Als Vorlaufzeit empfehlen sich 1,5-2 Jahre, wenn man sicher gehen möchte, dass man seinen Wunschtermin und -abteilung bekommt. Je nach Auslastung, Flexibilität und Glück kann man aber auch noch 5 Monate im Voraus Erfolg haben. Stellt euch auf ein mühsames und langwieriges Bewerbungsverfahren ein. Unbedingt zu beachten ist auch, dass für den Aufenthalt in Kapstadt (Studien-)Gebühren an die UCT in nicht unerheblicher Höhe zu bezahlen sind (für 4 Wochen ca. € 780,-).
Mobilität
Das Mietauto ist das Fortbewegungsmittel der Wahl (internationalen Führerschein nicht vergessen!), kann aber, gerade wenn man allein mietet, relativ teuer werden. Als Alternative steht Uber zur Verfügung, das in Kapstadt gut und sicher und vor allem günstig funktioniert (eine 30-minütige Fahrt von der Vorstadt ins Zentrum kostet nur ca. 4-6€). Öffentliche Verkehrsmittel sind mit Ausnahme der Busse im Stadtzentrum quasi nicht vorhanden. Ansonsten ist Kapstadt die Fußgänger- und Fahrrad-unfreundlichste-Großstadt, die ich je gesehen habe.
Unterkunft
Hier bieten sich viele Optionen. Über AirBnB finden sich meist gute Angebote für Langzeitbuchungen. Ich habe im AirBnb von Gayle in Wynberg in fußläufiger Entfernung zum Victoria Hospital gewohnt und kann diese Unterkunft für alle Studenten im Victoria Hospital nur weiterempfehlen.
Freizeit
Kapstadt ist eine Stadt mit unglaublichem Freizeitwert, gerade im Sommer (europäischer Winter) sind die Möglichkeiten enorm. Sportlich kann man z.B. Surfen in Muizenberg, Klettern in Siver Mine oder Wandern am Tafelberg. Touristisch sind Ausflüge zu Robben Island, in die umliegenden Weinberge (z.B. Franschhoek) für Weinverkostungen oder hinaus aufs Cape of God Hope möglich. Natürlich kann man aber auch einfach nur an einer der zahlreichen Strände herumliegen und einen magischen Sonnenuntergang nach dem anderen anschauen. Und natürlich viel gutes Essen. Und, und, und...
What to bring
Zu guter Letzt noch eine kleine Empfehlung, was man nach Kapstadt mitnehmen sollte:
:: Scrubs (Arbeitsbekleidung wird in Südafrika nicht vom Krankenhaus gestellt!)
:: Stethoskop
:: schwarze Stifte für die Papierdokumentation (blaue Kullis sind nicht erlaubt)
:: Schere (für Verbände, zum Herstellen von Venflon-Fixationspflastern aus normalen Pflastern)
:: Stauschlauch (in Südafrika werden für Venenpunktionen üblicherweise einfach Untersuchungshandschuhe um den Arm des Patienten gebunden)
:: FFP2/3-Masken (diese werden in Südafrika für Studenten ebenfalls nicht vom Krankenhaus gestellt, sollten aufgrund der hohen Tuberkuloseprävalenz aber im Emergency Centre 24/7 getragen werden)
:: Schutzbrille (für Interventionen, Nähen etc.)
Und allgemein:
:: Powerbank (in Südafrika gibt es regelmäßige „geplante“ Stromausfälle für mehrere Stunden pro Tag, am besten einfach mal „loadshedding“ googlen)