PJ-Tertial Anästhesiologie in Black Lion Hospital Addis Abeba (3/2024 bis 5/2024)
Station(en)
Operating Room (OR), Intensive Care Unit (ICU)
Einsatzbereiche
OP, Station
Heimatuni
Duesseldorf
Kommentar
Vorab:
Generell kann ich nicht empfehlen unvorbereitet in dieses Tertial zu gehen. Das liegt unter anderem daran, dass die innerpolitische Lage teilweise immer noch schwierig, unübersichtlich und konfliktreich ist. Außerdem gibt es einige Fluchtbewegungen angrenzender Länder wie aus dem Sudan und aus Eritrea, was dynamischen Entwicklungen unterliegt. Am besten du kennst jemanden vor Ort oder kontaktierst mich und ich kann dich mit Kontakten versorgen :) Ungeachtet dessen ist dies eine extremst wertvolle Erfahrung, die sich auch nochmal grundlegend unterscheidet zu West- oder Südafrikanischen Staaten.
Sprache:
Eine der Amtssprachen ist Amharisch, wenn auch nicht die Sprache die am häufigsten gesprochen wird, wenn man das gesamte Land betrachtet. Das wäre dann Oromo. Für die Hauptstadt und die meisten Bereiche des Landes ist Amharisch total ausreichend. Leider nicht die leichteste Sprache und auch das Alphabet unterscheidet sich von dem Lateinischen, hat aber gewisse Muster und ist mit Übung zu meistern. Zudem sind die Leute äußerst freundlich. Wenn du auch nur Hallo, Danke und Tschüss beherrschst werden dir die Einheimischen wahrscheinlich entgegnen, dass dein Amharisch perfekt sei und respektieren deinen Aufwand sehr. Alleine dafür lohnt es sich schon in folgende Angebote mal reinzugucken:
- App für die Schrift: Hahu Scripts
- Podcast zum Einsteigen: Bereka Buna (früher Buna Break Amharic)
- Bücher: Lonely Planet (günstig) oder Colloquial Amharic von David Appleyard (teurer)
- Online Sprachschule: Sankofa (recht teuer)
Wohnen:
Eine Unterkunft bekommt ihr wahrscheinlich nicht gestellt, damit seid ihr auf ein Hotel oder ein Airbnb angewiesen. Hierfür sind Leute vor Ort gut, weil die dieses meistens im Vorfeld besichtigen und einen besseren Preis aushandeln können. Außer ihr habt genug Geld und checkt im Hilton, Hyatt oder Raddison Blue Hotel ein. Ich war in einem kleinen Hotel in Kazanchis untergebracht, dort wird aber aktuell viel gebaut und ich weiß nicht, ob das Hotel noch steht. Andernfalls könnt ihr natürlich erstmal in einer teuren Hotelkette starten und dann nochmal umziehen. Wichtig ist auf so Dinge wie warmes Wasser zu achten, das gibts nicht überall. Schaut auch, dass ihr nicht zu weit weg vom Krankenhaus wohnt. Und nicht mit der kürzesten Google Maps Wegstrecke rechnen, sondern immer mit der über die großen Hauptstraßen.
Mobilität:
Fortbewegen werdet ihr euch zu Fuß, per Taxibus oder mit einem Uber-Pendant. Die Uber Pendants heißen im App- und Play-Store "Feres" und "RIDE". Ich bin mit "Feres" ganz gut gefahren. Wenn ihr da eine Fahrt bucht, können die Fahrerinnen und Fahrer euch meistens trotzdem nicht über die integrierte Karte finden. Stellt euch dementsprechend immer vor irgendein großes Gebäude oder einen Laden, das oder der bekannt ist. Als Frau solltet ihr nachts kein Feres mehr alleine nehmen. Und egal welches Geschlecht, sobald die Sonne untergeht nicht mehr zu Fuß unterwegs sein. Die Taxibusse sind sehr günstig, aber da müsst ihr euch reinpferchen und die Strecke kennen, damit ihr auch an der richtigen Stelle rausgelassen werdet. Am besten einmal oder zweimal mit wem zusammen fahren.
Geld, Währung & Kosten:
Die Währung des Landes ist "Birr". Damals waren ca. 1 Euro = 60 Birr, heute ist es schon mehr als das Doppelte. Nehmt euch unbedingt ein paar Dollar und Euros in bar mit. Ersten könnt ihr diese, wenn ihr Kontakte habt, zum doppelten Preis auf dem Schwarzmarkt umtauschen. Die hiesigen Banken erlauben nur eine limitierte Ausgabe an Fremdwährung und dadurch, dass die hiesige Währung so volatil ist, wechseln viele Einheimische ihr Birr in einestabile Fremdwährung und legen diese auf die hohe Kante. Zweitens, falls es Probleme gibt wie Visa Verlängerung. In den Ämtern wird oft nur Fremdwährung akzeptiert. Ihr könnt euch es leisten jeden Tag essen zu gehen und seid nicht auf eine Küche angewiesen, falls ihr nicht stets in den teuern Western llike Restaurants essen geht. Trotzdem sind die Kosten insgesamt vergleichbar mit Deutschland, da es auch oft unterschiedliche Preise für Einheimische und Touristen gibt, was fair ist. Dort verdient zum Beispiel eine Pflegekraft umgerechnet 50€ im Monat.
Ich würde für ein Hotelzimmer ca. 600€ pro Monat und für Essen 300€ einplanen. Wenn ihr dann noch die Mobilität, Ausgehen, etc. miteinberechnet, packt lieber nochmal 300€ oben drauf, um sicherzugehen. Eine Simkarte solltet ihr euch auch noch anschaffen, die ist aber verhältnismäßig günstig und am besten lasst ihr euch da von Kontakten aushelfen. Es gibt ansonsten noch kleine Supermärkte, wo ihr euch zusätzlich mit allerlei eindecken könnt. Wenn ihr mit der Sprache einigermaßen zurechtkommt, probiert euch ruhig am Markt aus, um etwas frisches Obst zu kaufen. Günstig und sehr lecker!
Alltägliches Leben:
Als ich da war, war Addis voll, aber nicht mit Touristen. Besonders wegen der oben genannten inneren und äußeren Konflikte war sehr viel Armut präsent. So hart es ist, aber diese Regel gilt: wenn euch jemand anspricht, den oder die ihr nicht kennt, reagiert nicht! Kein Sprechen, kein Kopfdrehen. Geht einfach weiter. Die Leuten wollen meistens euer Geld. Und auch wenn es euch das Herz bricht: genauso mit den Kindern umgehen. Sonst werdet ihr geswarmt. Geht mit niemandem mit, den oder die ihr nicht kennt, lasst euch nichts "zeigen". Das machen die Leute die ihr auf der Arbeit oder sonst wo kennen lernt sowieso zu Genüge. Auf offiziellen Events, wo Wachen vor stehen, ist das wieder was anderes. Diese Regeln gelten vor allem für die Straßen.
Falls ihr Lust auf ein bisschen Sport habt, hier ein paar Tipps. Für BJJ/Grappling kontaktiert unbedingt "Kao BJJ" auf Instagram. Falls ihr Lust habt auf Functional Fitness bzw. ein Fitness Studio, dann "Sweatboxapg". Dort lernt ihr coole Leute kennen, die euch dann auch das Nacht- und das sonstige Leben zeigen können. Das Problem ist: ohne Kontakte auf eigene Faust ist das wirklich schwierig und ihr werdet oft gescamt. Habt ihr aber einmal euer Ding raus sind der regelmäßige Besuch von Jazz-Clubs und das gemeinsame auswärts Essen und Trinken ein Traum. Leider wurde der alte "Fendika" Jazz Club abgerissen. Momentan suchen die Betreiber eine neue Location. Unbedingt auschecken. "Jubilation" ist eine gute Eventreihe. Unter t.me/shinestudioethiopia gibt es Salsa, Bachata, Kizomba und Spiele Abende. Auch in Traditional Dance einzutauchen ist an einigen Orten möglich (z.B. im SUP Studio), da müsst ihr ein bisschen rumfragen, dann werdet ihr auch fündig. Für Kunst ist die Artawi Gallery in der Nähe vom Flughafen zu empfehlen.
In der Stadt wird extrem viel gebaut, was das Stadtbild sehr beeinflußt. Die meisten Bauunternehmen sind chinesisch. Die meisten Weißen Menschen dort sind aus China. Deshalb wundert euch als Weiße nicht, falls euch Kids, die betteln, "China, China!" hinterherrufen. Nur wichtig: ignorieren und weitergehen!
Unter der Woche war ich meistens von 8-15 Uhr im Krankenhaus, bin danach zum Sport und abends mit den Leuten was gemeinsam Essen und Trinken gewesen bei guter Live Musik.
Tourismus:
Es gibt viel zu entdecken in diesem riesigen Land. Die heilige Stadt Lalibela, Bahir Dar mit dem riesigen Tanasee, die Tisissat-Wasserfälle, die Danakil Salzwüste, die schöne Stadt Hawassa und etliche Nationalparks. Leider hatten die inneren und äußeren Konflikte dazu geführt, dass es zu meiner Zeit dort nicht sicher war zu verreisen ohne das mit einer Agentur zu unternehmen und ohne zu fliegen. Mit dem Auto ist es generell nicht empfohlen zu reisen, besonders nicht alleine, da ihr die Straßen nicht kennt. Das Land ist stark ethnisch unterteilt und die Ethnien haben militärische Gruppierungen. Geiselnahmen sind keine Besonderheiten. Die Reiseagenturen kennen die Strecken aber, fahren sie regelmäßig ab und kontaktieren sich gegenseitig bei Neuigkeiten. Trotzdem gibt es manche Orte an die es nur sicher ist hinzufliegen. Das kostet dann aber auch dementsprechend. Ich hoffe dies ändert sich in Zukunft, der Norden sowie der Süden sind traumhaft schön. Der Süden sollte aktuell sicher sein. Mit den Reiseagenturen auf Get Your Guide war ich sehr zufrieden. Die holen euch ab vom Hotel und fahren euch wieder hin. Ich hab mir beispielsweise mit meinen Besuchen einfach nur Addis angeguckt, kann ich auch sehr empfehlen. Da gibts einen Besuch im National Museum mit einem der ältesten vormenschlichen Skelettfunde der Welt, eine Tour zum Berg Entoto und zu Merkato, dem größten offenen Markt Afrikas.
Tikkur Anbessa oder auch "Black Lion Hospital" genannt:
Um in das Krankenhaus reinzukommen braucht ihr eine Art Schreiben oder Ausweis. Klärt auf jeden Fall mit Fetiya ab, wie ihr das beim ersten Mal macht. Sie wird euch dann ein Schreiben ausdrucken mit dem ihr jeden Tag aufs Gelände kommt. Auf dem Gelände gibt es einen überdachten Food Stand mit Kaffee und Tee und einer kleinen Küche. Die machen euch Brötchen mit Ei oder kleine Pfannkuchen Stücke. Sehr zu empfehlen, auch für die Mittagspause. Es gibt auch so eine Art Mensa, dort war ich aber nur einmal mit einer Famulantin aus der Schweiz. Das Büro von Dr. Fetiya, der OP und die Intensivstation sind alle im 4ten Stockwerk des Hauptgebäudes. Klärt im Erstgespräch unbedingt ab was ihr lernen wollt und schickt am besten eine Art Fertigkeitenkatalog vorab per Email. Dort wird nach dem angelsächsischen System vorgegangen (wie in fast allen Ländern der Welt). Heißt, es gibt keine Assistenzärztinnen und -ärzte, sondern Residents (Jahre 1-3) und Fellows (Jahre 1-2). Die Fachärztin oder Facharzt ist gleichzusetzen mit Consultant. Wenn ihr was lernen wollt, lasst euch ausdrücklich als R1 (First Year Resident) einstufen. Falls ihr lieber nur zugucken wollt, einfach als Elective Student. Nehmt Kasacks, Handschuhe, Desi, Mundschutz, Haarschutz und alles an was ihr sonst noch so denken könnt, mit. Materialien sind knapp, vieles wird mehrfach verwendet. Das, was übrig bleibt, könnt ihr ja da lassen, darüber freuen die sich sehr.
Morgens gibt es eine Frühbesprechung im dritten Stock, an der ihr teilnehmen könnt. Die ist in der Regel auf Englisch, aber die Leute sprechen alle verdammt leise, weil die meisten so erzogen wurden und eher schüchtern sind. Dementsprechend kann dies manchmal auch anstrengend sein, aber entscheidet selbst. Die OPs sind vielfältig, für fast jede Fachrichtung gibt es einen Saal. Pro Saal gibt es aus jedem Residency Year eine Person. Seht zu, dass ihr irgendwo hinkommt, wo jemand fehlt, dann dürft ihr auch einiges machen. Generell müsst ihr euch schon hart durchsetzen, aber dann dürft ihr auch relativ viel. Vom Intubieren über Arterie legen bis zur Spinalanästhesie ist alles möglich. Am besten alles vorab schon abklären. Ich musste mich da stark durchsetzen, weshalb es in meiner Bewertung einige Abzüge gab, aber in Zukunft sollte das dann hoffentlich direkt so laufen.
Ansonsten läuft das dort natürlich alles anders als hier. Es gibt keinen Einleitungssaal, die Patientinnen und Patienten legen sich direkt auf den OP Tisch. Die Geräte sind uralt, die Medikamentenpackungen teilweise auf chinesisch. Hier lohnt sich Google Lense. Es gibt kaum Handschuhe und Desi (deshalb selbst mitbringen). Es gibt keine Stauschläuche. Es gibt keine Perfusoren. An keinem Gerät funktioniert die Kapnometrie. Es gibt nicht alle Medikamente wie bei uns. Aber keine Sorge, die Residents sind super fit: hier könnt ihr richtig gut Medizin bzw. Anästhesie lernen unter erschwerten Bedingungen! Mehr will ich dazu nicht vorwegnehmen. Es gibt auch einen kleinen Pausenraum mit Tee, Kaffee, Snacks und richtigem Mittagessen zu extrem günstigen Preisen. Hier werdet ihr ständig von euren Kolleginnen und Kollegen eingeladen und es ist eine sehr nette Atmosphäre. Auf dem Gang zum OP Trakt ist auch ein etwas ruhigerer Pausenraum, wo eher die Chirurgie platz nimmt, aber da könnt ihr auch seelenruhig essen und es stört niemanden.
Die Intensivstation beginnt mit einer großen Visite. Hier könnt ihr auch wahlweise wen übernehmen, wenn ihr die Person am Vortag ausgearbeitet hattet. In der Runde gibt es auch Vorträge, die ihr ebenfalls vorbereiten und vortragen könnt. Wenn die Runde vom Englischen abweicht, erinnert sie ruhig daran. Dadurch, dass es so wenig an Gerätschaften und Labor gibt, wird fast alles klinisch erhoben. Ansonsten gibts hier viel Leerlauf und aufgrund der erschwerten Bedingungen auch Frustration. Die teilweise tragischen Schicksale sind nichts für schwache Nerven. Insgesamt ergibt sich auch hier ein guter Einblick über die privilegierten Zustände unserer medizinischen Ausstattung.
Falls ihr mal ein paar Tage frei nehmen wollt für Reisen oder Unternehmungen, ist das in der Regel kein Problem. Und ironischerweise sind hier die Merci Schokoladen ein gern angenommenes Dankeschön zum Ende.
Fazit:
Alles in allem war es eine einzigartige Erfahrung und ich hoffe, insbesondere mit Besserung der dortigen Lage, auf einen vermehrten Austausch mit Deutschen PJs. Ich war der erste Deutsche in der Anästhesie dort, ansonsten gab es wohl viele aus Skandinavien, der UK oder den Staaten. Zu meiner Zeit hatte leider niemand anderes gleichzeitig PJ oder etwas vergleichbares in der Anästhesie gemacht, dafür aber in der Chirurgie.
Versucht so viel zu connecten auf der Arbeit, beim Sport, auf Events, wie ihr könnt, die Leute sind wirklich super nett und freundlich.
Esst das sehr gute Essen dort und lasst euch mal auf was anderes als die westliche Welt ein. Viel Spaß!
Bewerbung
E-Mail im Vorfeld an Dr. Fetiya ([email protected]), das ist die Chefin der Anästhesie. Ansonsten an den oder die Dean der Universität [email protected], [email protected]. Wenns untergeht ruhig Erinnerungs E-Mails schreiben.
Die generelle Anerkennung vom LPA für zukünftige PJs habe ich erledigt, sodass fortan niemand einen Äquivalenzantrag stellen muss.