Vorbereitung:
Ich startete zusammen mit zwei guten Freundinnen in mein halbes PJ-Tertial in Vellore, Indien.
Die Bewerbung lief unkompliziert per Mail ab, ca 10 Monate im Voraus.
Wir bekamen, ebenso per Mail, umfassende Infos zu Reglement, Kosten etc zugeschickt. Das Angebot, dass auch Unterkunft und Transport vom Flughafen kostenpflichtig organisiert werden kann, nahmen wir wahr und ließen uns im „Modale International Students Hostel“ auf dem Collegecampus unterbringen und vom Flughafen (Chennai) von einem Fahrer abholen.
Das Studierenden-Visum, was leider vonnöten ist, war sehr zeitaufwendig zu beantragen. Die Kosten beliefen sich auf ca. 120 Euro. Der Antrag hat alles in allem glaube ich drei Monate gedauert, zunächst postalisch, dann war aber doch unsere Anwesenheit vonnöten für die Fingerabdrücke. Solltet ihr, z.B. für ein gesplittetes Tertial, noch andere Visa brauchen, bedenkt dass eure Pässe im blödesten Fall relativ lange in einer Schublade der Indio-German Consultancy Services (in unserem Fall in Hamburg, in anderen Zweigstellen geht das eventuell schneller) lagern werden.
Geld:
Es fällt neben Kosten für Visa, Flug etc im Krankenhaus ein Tution fee in Höhe von ca. 200 Euro pro Monat an. Für das Dreierzimmer, das wir bewohnten, fielen monatlich ca. 90 Euro pro Person an (Stand 2020), für ein Einzel- oder Zweierzimmer bzw Zimmer mit Airconditioning etwas mehr. Das Essen in der College- sowie der Krankenhauskantine ist sehr günstig und absolut in Ordnung, wenn auch das meiste für mich (leider in der Hinsicht empfindlich) recht scharf gewürzt ist. Transport innerhalb der Stadt geht problemlos mit Bussen oder etwas teurer mit Autorikshas. Zum Krankenhausgelände fahren mehrfach täglich, wenn auch nicht ständig, kostenfreie Busse. Alternativ nimmt man einen der öffentlichen Busse für ein paar Cent, die ständig fahren.
Direkt am Krankenhausgelände steht ein ATM, an dem man – wenn er funktionierte – immer die in Indien übliche Begrenzung auf 10.000 Rupien abheben konnte.
Arbeitsanfang:
Am ersten Tag wird einem eine kleine Einführung gegeben und man darf sich die posting order bzw den Rotationsplan zusammenstellen.
Es ist jederzeit sehr aufwandlos möglich, seine posting order noch mal zu ändern; das Principals Office macht hier so gut wie alle Wünsche möglich – eine Mail schreiben reicht in den meisten Fällen aus. Bei der Wahl der Stationen wird komplett freigestellt, ob man sich auf chirurgische Stationen begrenzt oder alles Mögliche sehen will – bedenkt aber dass es wichtig ist, auf einer der Stationen am Ende den passenden Stempel (z.B. Allgemeinchirurgie) für euer Zertifikat zu bekommen.
Das Rotieren über eine Vielzahl von Stationen bietet zwar mehr unterschiedliche Einblicke und ist kurzweiliger, allerdings muss man sich so immer wieder neu vorstellen, orientieren und Kontakt zum Team bekommen – das ist wiederum einfacher, wenn man nur wenige unterschiedliche Stationen wählt.
Bezüglich der Kleidung fürs Krankenhaus: Die Ärzte und Ärztinnen tragen alle Alltagskleidung, Kittel sind nicht nötig. Ebenso ist es nicht nötig, Desinfektionsmittel o.ä. mitzubringen. Für den OP bekommt man Kasaks und alles was man braucht gestellt. Ein Stethoskop kann auf einigen wenigen Stationen ganz nützlich sein.
Unterkunft:
Wir haben uns auf dem College Campus (Bagayam) im Modale International Students Hostel unterbringen lassen. Hier gibt es Zweier- oder Dreierzimmer, die sogar Klimaanlagen haben und täglich (!) geputzt werden. Eine kleine Küche gibt es auch, allerdings (Stand 2020) nicht für richtiges Kochen ausgestattet sondern eher um mal was im Kühlschrank kaltzustellen, einen Tee zu kochen oder Obst/ Gemüse zu schnippeln.
Das Hostel hat zwar keinen größeren Gemeinschaftsraum aber man trifft quasi unumgänglich sehr viele andere internationale Studierende. Je nach Laune kann man sich verschiedensten Gruppenaktivitäten anschließen oder selbst welche anregen.
Ich glaube, dass sich fast alle Auslandsstudierenden fürs Wohnen auf dem Campus entscheiden. Dies hat sehr offensichtliche Vorteile, es ist sehr bequem, der Campus ist durch Sicherheitspersonal geschützt und die Sauberkeit und der Bewuchs geben einem das Gefühl, in einem gepflegten Park zu leben. Andererseits bleibt das Gefühl, in einer extremen Blase zu leben, und so künstlich geschützt sehr wenig Kontakt zum „echten“ Indien zu haben.
Wenn man will ist es aber zumindest relativ leicht, Kontakt mit lokalen Studierenden zu bekommen. Über diese ist dann ein deutlich tieferer Einblick in die Lebensrealität von Gleichaltrigen vor Ort möglich.
Es gibt neben einer Kapelle mit einem frei zugänglichen Keyboard auch sehr viele Sportmöglichkeiten auf dem Campus (kleiner Kraftraum, Tennis-, Fußball-, Basketballfelder).
Stromausfälle sind selten und kurz und das WLAN auf dem Campus funktioniert halbwegs.
PJ:
Krankenhaus:
Die Betreuung der Auslandsstudierenden ist im CMCH sehr gut. Auch wenn man zunächst Gefahr läuft, sich in dem Trubel des Krankenhauses zu verlaufen, nehmen einen die Stationsteams, wenn einmal gefunden, meistens herzlich auf.
Das Christian Medical College ist wie der Name sagt ein christliches Krankenhaus. Dies ist überall spürbar, durch aufgehängte Bibelzitate in vielen Räumen des Krankenhauses, morgendliche Gebetsrunden und einen großen Anteil an christlichem Personal. Der Kontrast zu der großteilig hinduistischen Bevölkerung des Umlandes und die Offensivität, mit der der christliche Glauben hier vertreten wird, wirkten auf mich zunächst überraschend. Insgesamt bietet dies aber auch für einen eher nicht christlichen Menschen wie mich die Möglichkeit, sich noch einmal über Glaubensthemen zu unterhalten, einen differenzierteren Blick auf Missionsarbeit zu bekommen und das medial geprägte Bild des primär hinduistischen Indiens etwas zu relativieren.
Die Sprache der Wahl ist auch zwischen den Mediziner*innen meist Englisch, da die Leute aus allen Teilen Indiens kommen und somit oft keine andere Sprache teilen. Die Patient*innengespräche laufen meist auf einer indischen Sprache, danach fassen viele Ärzt*innen den Fall jedoch kurz nochmal zusammen.
Ein Verständigungsproblem für mich, das ich im Vorfeld nicht bedacht hatte, ist das Medical English. Mein Alltagsenglisch ist relativ gut, aber im medizinischen Alltag fehlten mir schon die einfachsten Vokabeln bzw ich konnte mit vielen Abkürzungen – OPD, CPR – nichts anfangen. Oft hilft nur kurzes Nachschlagen auf dem Handy.
Stationen:
Ich sah mir während meines PJ-Tertials verschiedene chirurgische Stationen an und hatte darüber hinaus die Möglichkeit, das CHAD (ein Zentrum für kostenreduzierte medizinische Versorgung der Landbevölkerung) und die Psychiatrie kurz zu besuchen.
Das CHAD ist besonders deshalb zu empfehlen, weil es mehrmals die Woche mit der Mobile Clinic bzw. mit einem Van für Schwesternhausbesuche Touren durch die ländliche Umgebung durchführt. Hier hat man die Möglichkeit das Leben der Leute außerhalb der Städte zumindest mal ein bisschen kennenzulernen.
Auf der Allgemeinchirurgie, besonders empfehlenswert unter den vier Units ist hier Surgery 1 (Stand 2020), wird teilweise sehr gute Lehre betrieben. Hier ist es im Gegensatz zu vielen anderen Stationen deutliche leichter, auch mal am Tisch assistieren zu können. Grundsätzlich ist dies im Minor OT (kleine Eingriffe) leichter, unter Umständen aber auch im Major OT möglich.
Die Plastische Chirurgie ist besonders anschaulich, hier kann man auch durch Zuschauen viel mitnehmen.
Die Tage beginnen in der Regel um 8:00. Wir waren je nach Station recht frei in der Entscheidung, wann wir nach Hause gingen.
Alltagsleben:
Die meisten Ärzte und Ärztinnen sowie einige Mitarbeiter aus der Pflege sprechen sehr gutes Englisch. Mit Patient*innen oder auf der Straße beim Gemüsekaufen ist die Verständigung schwieriger. Insgesamt freuten sich die meisten Leute jedoch über unsere ungeschickten Kontaktversuche. Ich selbst habe leider vor meinem Aufenthalt kein Tamil gelernt.
Für Studentinnen relevant: Wer schon aus dem Ausland anreist und nicht so viel Gepäck mitnehmen kann oder wer Interesse hat, sich etwas landestypischer zu kleiden, kann vor Ort Kurtas bzw Salwar-Kameez erstehen. Diese Kombo aus längerer Tunika und Pluderhose wird hier von vielen Frauen getragen – sie ist sehr angenehm in dem warmen Wetter und die meisten Inder*innen freuen sich, Ausländer*innen in traditioneller Kleidung zu sehen. Sogar auf dem CMC-Campus (Bagayam) gibt es einen kleinen „College-Shop“, in dem man seine erste Kurta erstehen kann. Die meisten Männer tragen westliche Kleidung.
Indien ist ein derart riesiges und vielfältiges Land dass man leider nicht mal ansatzweise das Gefühl bekommt, es in den Monaten hier richtig „kennenzulernen“. Schon Südindien hat eine immense Bandbreite an Religionen, Kulturen und Sprachen zu bieten. Während es sehr viele sehr nette Kontakte zu indischen Locals gab kommt man auf der Straße nicht darum herum, auch viel angebettelt und vor allem angestarrt zu werden. Diebstähle oder ähnliches erlebten wir wiederum nie in unserer Zeit hier.
Tipps für die Reise:
• Versucht, wenn ihr das nicht eh schon plant, verfrüht anzureisen oder länger zu bleiben – Auch wenn Tamil Nadu selbst schon sehr viele tolle Reiseziele bietet kann man sich so noch ermöglichen, ein paar Orte in Nachbarstaaten zu sehen.
• Eine lokale SIM bekommt man in den kleinen Handyläden gegenüber des Hauptkrankenhauses. Das ist etwas zeitaufwendig aber lohnte sich für uns, obwohl das Krankenhaus-WLAN auch relativ flächendeckend zur Verfügung steht (auch auf dem College Campus). Für dieses zahlt man einmalig.
• In Wohnungen werden grundsätzlich die Schuhe ausgezogen
• Mitnehmen:
◦ Ich hatte Tupperboxen dabei, das ist super fürs Streetfood oder um Mittagessen auf die Landbesuche mitzunehmen.
◦ Außerdem nützlich: Halsbonbons (häufige Erkältungen trotz warmen Wetters)
◦ Steckdosenadapter sind nicht nötig.
◦ Oft wird gesagt, Kleidung sollte Schultern und Knie bedecken. Grundsätzlich ist dies kein Dogma sondern es bleibt jeder Person selbst überlassen; gerade Frauen in kurzer oder enger Kleidung werden aber meiner Erfahrung nach tendenziell mehr angestarrt, weshalb ein indische Kleidungsstil auch zum persönlichen Wohlbefinden beitragen kann.
Persönliche Bewertung:
Es war eine ausgesprochen lohnende Entscheidung, fürs PJ nach Vellore zu gehen. Trotzdem bin ich auch sehr zufrieden mit der Entscheidung, hier nur ein halbes Tertial und nicht vier Monate zu bleiben. Dies hat zum einen mit einem gewissen erwartbaren Gewöhnungseffekt zu tun – das Straßenleben, die Anblicke und die Fremdheit der Kultur faszinieren natürlich inital am meisten, während nach zwei Monaten in einer eher kleinen Stadt wie Vellore und in unserem recht etablierten Alltag nicht mehr viel Neues dazukommt. Zudem blieb ich in diesem chirurgischen halben Tertial hauptsächlich in der Rolle des Observierens. Hier ist durch die Stationswechsel immer noch Neues zu sehen, aber das Verlangen aktiv mitzuarbeiten stellte sich dann doch bei mir ein.
Wer gerne viel praktisch arbeiten will ist am CMCH in der Chirurgie meiner Meinung nach eher falsch aufgehoben. Wie bei vermutlich jedem Auslandstertial ist die Eigeninitiative im Krankenhaus absolut essentiell, mit ihr steht und fällt, wie viel man inhaltlich aus dieser Zeit mitnimmt, wie sehr man integriert wird und wie viel man selbst mitarbeiten darf.
Die meisten deutschen Studierenden, die ebenfalls ihr chirurgisches Tertial in Anteilen hier verbrachten, taten das wie wir auch eher, weil sie Chirurgie als späteres Arbeitsfeld eher ausschlossen und weniger weil sie sich für das Fach per se schon begeisterten. So ist es zu verkraften, nicht enorm viel chirurgischen Wissenszuwachs aus diesen zwei Monaten zu ziehen, in denen ich dafür viel Spannendes erlebt und gesehen habe. Ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das Gesundheitssystem in einem Entwicklungsland funktioniert ist sehr interessant. Und in Anbetracht der Arbeitsbedingungen hiesiger Ärzte und Ärztinnen die eigenen gelegentliche Unzufriedenheiten mit dem deutschen System relativiert zu sehen, kann auch nicht schaden.
Vellore ist keine touristische Stadt. Wenn man wie wir auf dem Bagayam Campus lebt und somit die meiste Zeit auf Krankenhaus- oder Collegecampus verbringt, lernt man auch nicht allzuviele Ecken kennen. Durch die anderen Auslandsstudierenden, die das Hostel mit uns teilten, war Anschluss zu bekommen sehr einfach und auch Reisegesellschaft für Wochenendausflüge findet sich hier.
Großartig fand ich die Gelegenheit, verschiedensten Locals viele Fragen zu ihrer Kultur stellen zu können - nur so erschloss sich mir die Alltagswelt ein bisschen. Wer also die Gelegenheit hat, ein paar lokale Studierende oder Ärzt*innen besser kennenzulernen, sollte dies meiner Meinung nach unbedingt nutzen.