1. Das PJ in Newcastle
Ich verbrachte acht Wochen, also die Hälfte meines chirurgischen PJ-Tertials, in der Leber- und Pankreaschirurgie (HPB Surgery) am Freeman Hospital in Newcastle. Das Krankenhaus zählt zu den größten und renommiertesten Klinken Großbritanniens und so werden hier auch viele komplexe Fälle zuverlegt und behandelt. Nach ein paar Formalia am ersten Praktikumstag traf ich meinen Supervisor, welcher mich mit dem Tagesablauf und groben Organisation in der Klinik vertraut machte und mich den Kolleg:innen der Abteilung vorstellte.
Die Arbeitstage beginnen hier deutlich später als in Deutschland. Man startet meist zwischen 8:00-8:15 Uhr, gegen 8:30 Uhr beginnen einerseits die meisten ward rounds (Visiten), andererseits findet um diese Zeit in den OPs jeweils eine team round statt, in der sich das OP-Team für den jeweiligen Tag vorstellt und die OP-Liste bespricht. Gegen 9:00 Uhr bzw. 13:00 Uhr starten zudem die Ambulanzsprechstunden (outpatients clinic). Man ist hier sehr flexibel in den Sachen, die man sehen und lernen mag und kann sich quasi jeden Tag aussuchen, auf was man Lust hat (OP, Ambulanz oder Station).
Ich verbrachte ab dem zweiten Tag die meiste Zeit im OP (genannt Theatre) und war fast immer mit am Tisch zum Assistieren, Kamera führen und Nähen. Wie bereits erwähnt war ich hauptsächlich in der HPB Surgery eingeteilt, hatte jedoch auch reichlich die Möglichkeit, einen Eindruck anderer Fachrichtungen (Gefäßchirurgie, Urologie, HNO, Kolorektalchirurgie, aber auch Anästhesie und Notaufnahme) zu gewinnen und sah so ein großes Spektrum verschiedener Operationen.
Meistens operieren hier ein Consultant (vergleichbar mit Oberarzt) und ein Registrar (vergleichbar mit einem Assistenzarzt am Ende der Weiterbildung) gemeinsam, selten sind noch lokale Medizinstudierende oder weniger erfahrene Junior Doctors anwesend. Es werden hier keine praktisch-chirurgischen Vorkenntnisse erwartet, aber wenn man etwas Eigeninitiative zeigt, nehmen sich alle ausreichend Zeit, einem chirurgische Basics wie z.B. Nähen und Knoten zu zeigen und entsprechend Tipps zur Verbesserung der eigenen Skills zu geben. Auch insgesamt kann man festhalten, dass im OP und generell in der Klinik im Vergleich zu Deutschland eine deutlich entspanntere Stimmung herrscht.
Neben den klinischen Aspekten war es zudem spannend, das NHS einmal von innen mit seinen positiven als auch negativen Seiten kennenzulernen. An Positivem lässt sich festhalten, dass das System weniger hierarchisch aufgebaut ist, der Umgang untereinander und mit den Patient:innen deutlich persönlicher und freundlicher ist und alle Mitarbeitenden der Klinik sehr zuvorkommend und hilfsbereit sind. Außerdem herrscht unter den Ärzt:innen eine deutlich höhere Lehrbereitschaft, man kann immer Fragen stellen und bekommt etwas gezeigt oder erklärt. Hiervon könnten sich so einige Ober- und Chefärzt:innen in Deutschland eine sehr große Scheibe abschneiden. Zudem gibt es mit den sog. specialist nurses spezialisiertes Personal auf gewisse Erkrankungen (z.B. Tumore), die einerseits Ärzte entlasten aber auch für die Bedürfnisse der Patienten eine Bereicherung darstellen. Negative Aspekte des britischen Gesundheitssystems sind sicherlich die immens hohen Wartezeiten auf viele Arzttermine oder OPs, die zum Teil sicherlich einer deutlich geringeren Effizienz des Systems geschuldet sind. So warteten wir teilweise zwischen einzelnen OPs über eine Stunde auf den nächsten Patienten. In der ärztlichen Weiterbildung erhält man zudem erst relativ spät mehr Kompetenzen für ein selbstständiges Arbeiten und Voranschreiten des persönlichen Könnens.
Das Freeman Hospital liegt am Stadtrand von Newcastle, jedoch fahren vom sehr zentral gelegenen Royal Victoria Infirmary regelmäßig Schuttle-Busse. Laut den Locals dürfte man außerdem die öffentlichen Busse, die das Freeman anfahren, gratis mit seinem NHS-Batch nutzen (habe ich jedoch nicht selbst ausprobiert, also keine Gewähr hierfür). Wie in vielen Berichten ebenfalls zu lesen ist, trägt man in der Klinik in England häufig smart casual Alltagskleidung. Es ist aber auch immer möglich, sich Kassaks zu holen und diese zu tragen.
2. Planung und Vorbereitung
Schon seit dem Beginn des klinischen Studienabschnitts war mir klar, dass ich einen Teil meines PJs im Ausland verbringen möchte. Da ich bereits ein paar sehr positive Erfahrungsberichte aus England gehört hatte, war das Vereinigte Königreich hierbei mein bevorzugtes Ziel. Außerdem fand ich es spannend, einen direkten Eindruck ins NHS zu erhalten und so positive und negative Aspekte mit dem deutschen Gesundheitssystem vergleichen zu können.
Als absehbar wurde, dass ich im November 2022 ins PJ starten würde, begann ich mich etwa ein Jahr im Voraus über mögliche Städte und Unis zu informieren. Aufgrund der Vorgaben für das deutsche PJ muss das ausländische Klinikum an eine medizinische Fakultät angegliedert sein und ich fokussierte mich daher zunächst auf die größeren Städte im UK. Jedoch gibt es auch in vielen kleinen Städten eine medizinische Fakultät, wobei diese Übersicht sehr hilfreich ist: https://www.medschools.ac.uk/studying-medicine/medical-schools. Sinnvoll ist es, erst einmal bei den jeweiligen Unis nach den Bedingungen und Fristen zu schauen. Am einfachsten googelt man hierfür einfach „Medical Elective [Stadt]“ oder „Visiting medical elective [Stadt]“. In Großbritannien ist es in den meisten Fällen nötig, sich vor der Bewerbung/Registrierung bei der Uni einen klinischen Supervisor zu suchen, der während der Zeit für einen verantwortlich ist. Außerdem muss man beachten, dass in den meisten Fällen nur maximal 8 Wochen Elective an einer Uni im UK möglich sind, also ein halbes Tertial.
Nachdem meine Wahl auf Newcastle upon Tyne gefallen war, begann ich etwa 7 Monate vor meinem geplanten Auslandsaufenthalt mit der Bewerbung und Suche nach einem Supervisor. Auf den Websites der Hospital Trusts (quasi regionale Verbunde des NHS, in denen die Kliniken organisiert sind und mit denen die Unis als Lehrkrankenhäuser kooperieren) findet man in der Regel eine Auflistung der verschiedenen Consultants (vergleichbar mit Oberärzten) und deren Fachrichtung. Oftmals sind hier leider nur Telefonnummern genannt und keine E-Mail-Adressen, man hat also die Wahl entweder anzurufen oder E-Mails auszuprobieren. Da ich in die Chirurgie wollte, habe ich mich für Zweiteres entschieden und mit Ausprobieren von „vorname.nachname@nhs.net“ oder „v.nachname@nhs.net“ hatte ich meistens Erfolg.
Als ich die Zusage meines Supervisors erhalten hatte, meldete ich mich beim Medical Electives Team der Uni, um den Platz zu sichern und alles weitere Organisatorische in die Wege zu leiten. Das alles ging sehr unkompliziert über ein Onlineformular und ein paar Mails. Das Team der Newcastle University ist zudem super nett und sehr hilfsbereit. Beachtet bei der Bewerbung und Registrierung die offiziellen Zeiten für das PJ (siehe PJ-Portal), da diese eingehalten werden müssen und man in München zudem in einem gesplitteten Tertial keinen Fehltag nehmen darf.
Als ich die sichere Zusage für den Platz erhalten hatte, standen noch weitere ToDo’s auf der Liste: An- und Abreise organisieren, Reisepass beantragen, Stipendienbewerbung und Unterkunft finden (s.u.). Nach Newcastle kommt am besten entweder per Zug über Paris bzw. Brüssel und London, oder per Flug von München mit Umstieg oder von Frankfurt direkt. Ein Visum ist als deutscher Staatsbürger Stand 05/23 nicht nötig. Diese Seite der britischen Regierung hilft im Zweifel aber auch weiter: https://www.gov.uk/check-uk-visa.
3. Unterkunft
Wohnen ist sehr teuer in England und macht sicherlich die größte Position der Gesamtkosten des Aufenthalts dort aus. Ich hatte über die Uni einen Platz in den Staff & Visitor Accomodations am Windsor Place bekommen. Die Zimmer dort sind kein Luxus, aber erfüllen ihren Zweck und man verbringt eh nur begrenzt Zeit dort. Die Häuser sind jedoch sehr zentral gelegen und man ist in 10-15 min zu Fuß in der Innenstadt sowie in 10 min am Royal Victoria Infirmary. Zum Freeman Hospital sind es ca. 30 min mit dem Shuttle-Bus oder 45 min zu Fuß. Alternativ kann man sich auch nach anderen privaten Wohnheimen umschauen oder sucht auf spareroom.com nach flatshares (WGs).
4. Soziale Kontakte
Mit mir waren zeitgleich sieben andere deutsche PJler:innen in Newcastle, welche ich am ersten Tag bei der Einschreibung an der Uni kennenlernte und mit denen ich die meiste Zeit verbrachte. Das Electives Team ist darüber hinaus auch gerne bereit, die Kontaktdaten mit anderen Elecitves zu teilen. Da während der ersten Praktikumswochen in England Semesterferien waren, war es leider schwer, Kontakt mit Locals herzustellen. In den verschiedenen Societies der Student’s Union (siehe www.nusu.co.uk) lassen sich aber sicherlich gut Kontakte knüpfen.
5. Alltag und Freizeit
Newcastle selbst und auch die Umgebung bieten eine Fülle an Sachen, die man unternehmen und entdecken kann. Der Hadrian’s Wall und Edinburgh sind nur ca. 1,5 h mit dem Zug entfernt, an der nahgelegenen Küste in Tynemouth (20 min mit der Metro) lässt es sich wunderbar entlangspazieren, schwimmen oder surfen und die Städte Durham (10 min) und York (2 h) sind ebenfalls sehr sehenswert. Wenn man ein paar freie Tage und gutes Wetter hat, lohnt sich zudem der Lake District Nationalpark. Für Harry Potter Fans ist zudem das Alnwick Castle und die Kathedrale in Durham einen Besuch wert. Ansonsten ist die englische Pubkultur mit Livemusik, Pool-Billard und ggf. einem Pubquiz auf jeden Fall ein Muss. Und wer die Serie „The Geordie Shore“ gesehen hat, weiß, dass das Nachtleben in Newcastle weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist.