Der Start im Krankenhaus war ziemlich holprig, unter anderem durch die sicherheitspolitische Krise Anfang Januar 2024 bedingt, aber auch durch die etwas unkompetenten Mitarbeiter im Oficina de Docencia ... aber mit der Hilfe des medizinischen Dekanats der Universität (UEES) war es am Ende doch machbar. Vorteil war, dass dort wirklich niemand weiß, was man als Deutscher PJler alles machen muss - sprich man kann sehr gut sagen, wie, wo und wann man gern arbeiten möchte. Daher habe ich ausgemacht immer Donnerstags einen 24h Dienst mitzumachen und dafür Freitags frei zu bekommen, um am Wochenende vereisen zu können.
Das Gesundheitssystem und auch das Krankenhaussystem sind sehr unterschiedlich zu unserem. Das Luis Vernaza ist in den letzten Jahren zunehmend privatisiert worden und neuerdings auch ins Hospital Alfredo Paulson umgezogen, was mir auch erst dort gesagt wurde und nochmal einiges an meinem Plan was Wohnungen anging geändert hat. Die Privatisierung bzw. geringere Förderung durch Spenden bedeutet, dass es wenige akute Patienten gibt und insgesamt sehr wenig los war. Die Patienten, die kommen, sind größtenteils überwiesen von einem staatlichen Krankenhaus, weil das nicht die Mittel hat, die Patienten ausreichend zu versorgen. Da die staatlichen Krankenhäuser aber wohl relativ ok ausgestattet sind, bzw. kritisch kranke Patienten sich ja nicht in einen Warteraum setzen können, habe wir eher wenig zu tun gehabt. Tatsächlich lag der Betreuungsschlüssel teilweise bei zwei bis drei Patienten pro Arzt. Dementsprechend ist der Alltag eher entspannt, es gibt viel Zeit zu quatschen und wir sind regelmäßig auch außerhalb der Klinik zum Mittagessen gefahren. Wer richtig heiß ist auf OP und Chirurgie muss die Initiative ergreifen und nachfragen. Prinzipiell gilt, alles kann, nichts muss. Sprich wenn man sagt, man möchte gern irgendwo mitmachen, dann kann man das auch immer. Wenn man aber nicht nach fragt, bietet es auch selten jemand an. Ich war einen großen Teil der Zeit in der Thoraxchirurgie bei Dr. Polit. Er und seine Oberärzte sind super nett und angenehm und auch immer darauf bedacht, dass man was lernt und selber machen kann. Generell lernt man relativ schnell auch die anderen Fachbereiche kennen und kann sich dann aussuchen, wer nett ist oder was einen interessiert. Dann muss man einen Oberarzt abpassen, fragen, ob man demnächst dabei sein kann und fertig!
Auch die Assistenten sind alle sind super lieb und viel mehr freundschaftlich als kollegial. Die Facharztausbildung ist wie ein Postgrad-Studium aufgebaut. Die Assistenten arbeiten 4 Jahre für sehr wenig Geld in einem Rhythmus von alle 4 Tage ein 32h Stunden Dienst mit 15 Tagen Urlaub im Jahr. Dementsprechend leben sie eigentlich in der Klinik und es hat alles sehr viel mehr Ähnlichkeit mit Greys Anatomie als bei uns. Man kann diesen Rhythmus mitmachen und sich in eine der Dienstgruppen einteilen lassen - muss man, wie gesagt aber auch nicht.
Die Dienste laufen so ab, dass man zu 15:00 Uhr in die Notaufnahme geht und dort eine Übergabe bekommt. Dann geht man entweder in den OP für die Nachmittags-OPs oder bleibt in der Notaufnahme oder vertreibt sich bei mangelnden Patienten anders die Zeit. Generell hab ich in den Diensten aber am meisten gesehen und machen können. Es gibt auch Personalräume in denen man schlafen kann. Für die Assistenten geht es dann 7:00 morgens wieder ganz normal mit dem Tagdienst weiter auf ihrer eigentlichen Station.
Andere PJler gab es zu meiner Zeit nicht, obwohl die Uni mir das eigentlich gesagt hatte. Das kann zu einer anderen Zeit aber wieder anders sein.
Da mein Spanisch noch sehr dürftig war, hab ich mich am Patienten oft etwas zurückgehalten. Prinzipiell kann man aber sicher auch Patienten komplett selbst betreuen. Die Lehre wird unglaublich groß geschrieben und ist viel praktischer orientiert als bei uns. Die Assistenten operieren teilweise komplett alleine und der Oberarzt steht nur ungewaschen daneben und gibt Hinweise. Dementsprechend wurde auch mir viele beigebracht - Nähen, Knoten, Thoraxdrainagen legen, Tracheotomieren - alles unter Anleitung und nur soweit wie ich es mir zugetraut habe. Grad hier ist die Auswahl des Oberarztes mit dem man unterwegs ist relativ wichtig, weil manche recht schnell ungeduldig oder cholerisch werden.
Neben der guten Lehre hatte ich aber teilweise auch einige Schwierigkeiten. Ich kam grad von meinem Tertial in der Anästhesie und Intensivmedizin und grade der Umgang mit den Patienten im OP (dass Pateinten komplett nackt auf dem Tisch liegen, ohne gelagerte Arme und vor sich hin auskühlen während 3 Anästhsisten versuchen zum Teil unsteril einen ZVK zu legen), war teilweise irgendwie schwer auszuhalten. Und auch die Versorgung auf der ITS oder auf Normalstation - mit Patienten die vor Schmerzen kaum sprechen können - die Organisation von Schmerzmitteln (und allem anderen) aber ziemlich umständlich ist und sich niemand zuständig fühlen will und der Patient daher dann nicht ausreichend versorgt wird, dass kann ganz schön frustrieren.
Obwohl wirklich der aller größte Teil der Ärzte sehr nett und korrekt ist, gab es wenige Oberärzte, die zu mir und den jungen Ärztinnen unangemessen schmierig waren und mit denen ich eher nicht gern allein im Nachtdienst gewesen wäre. Allerdings konnte ich mich da gut abgrenzen und diese wenigen Oberärzte meiden. Es war nur etwas, was mir in der Art aus Deutschland zum Glück völlig neu war. Generell sind gewisse Grenzen einfach anders gezogen: die Standardfrage, ob man einen Freund hat, oder ob man denn nicht gern einen ecuadorianischen Freund hätte, wundert einen schnell nicht mehr.
Das Luiz Vernaza oder Alfredo Paulson ist generell eher kein Akutkrankenhaus, in dem man viele Schusswunden oder Messerstichverletzungen sieht. Wenn man richtig viel zu tun haben will und viel Chirurgie sehen möchte, dann sollte man vielleicht eher ein anderes Krankenhaus wählen. Das kann man zum Teil mit der Uni und dem medizinischen Dekanat aushandeln. Für richtige Akutmedizin muss man wahrscheinlich in ein staatliches Krankenhaus, was aber wohl noch mehr Bürokratie bedarf.
Gewohnt habe ich für den ersten Monat bei einer Gastmutter in Samborondon - dem Stadtteil in dem auch die Uni UEES ist. Das hatte die Uni für mich organisiert und würde ich auch immer wieder so machen, um am Anfang das Land, die Leute und die Stadt leichter kennenlernen zu können. Mein Gastmutter war super und hat mir zu Beginn sehr viel geholfen und vieles zum Land und zur politischen Lage erklärt. Für die letzten zwei Monate bin ich in ein privates "Studentenwohnheim" direkt in Guayaquil in Urdesa gezogen. Die Miete war um einiges günstiger und ich konnte mit dem Bus zum Krankenhaus fahren.
Guayaquil als Stadt ist sehr warm und entsprechend einer Großstadt dreckig und eher auf der unsicheren Seite. Es gibt nur relativ wenig zu sehen, was aber auch daran liegt, dass Ecuadorianer unter einer guten Wochenendbeschäftigung einen Ausflug in eine auf 18°C klimatisierte Mall verstehen. In Guayaquil merkt man schon, dass alle etwas angespannt sind, was die Sicherheit angeht. Bestimmte Stadtteile betritt man z.B. einfach nicht (Duran und der Süden). Den Ärzten und der Uni wäre es auch am liebsten gewesen, ich hätte mich nur im Taxi oder Uber bewegt. Da das aber irgendwann echt teuer wird, habe ich dann doch den öffentlichen Bus genommen und hatte dort auch nie Probleme! V.a. wenn man noch den Kasak anhat und damit weniger als Tourist auffällt. Mir ist während der ganzen Zeit nichts passiert, aber bestimmte Regeln hab ich auch immer eingehalten: nachts nie alleine das Haus verlassen und auch nicht Busfahren nach Dämmerung sondern lieber per Uber, nie irgendwas auf der Straße von jemandem annehmen, in Guayaquil kein Taxi von der Straße rufen , sondern ein Uber bestellen. Nach einigen Wochen entwickelt man aber ein Gefühl dafür, was geht und was nicht und wenn man es in Guayaquil schafft, dann schafft man es überall in Ecuador. Die Sicherheitsbedenken sind lästig und ungewohnt, aber man kann sich dran gewöhnen und auch in Ecuador ist der aller größte Teil der Menschen sehr freundlich und korrekt.
Guayaquil ist dafür aber ein sehr guter Ausgangspunkt für Reisen ins restliche Land. Ecuador hat ein überraschend gutes und zuverlässiges Fernbusnetz und ich bin so gut wie jedes Wochenende irgendwo hingefahren. Neben den langen Wochenenden hab ich mir über die Faschingswoche und am Ende des Tertials frei genommen, um durchs Land zu reisen, was sich sehr lohnt. Ecuador ist klein aber unheimlich vielfältig und hat von alpinen Vulkanen auf über 5000m über kühle Nebelwälder bis zum Amazonas unglaublich viel zu bieten, bei teilweise sehr geringen Preisen für Essen und Unterkunft. Die Küste gibt es auch - aber wenn man auf karibische Strände hofft, sollte man lieber wo anders hin. Es ist eher einfach nur grauer Strand und warmer Pazifik. Außerdem ist es super warm.
Ich war eigentlich immer mit Freunden unterwegs - zwei andere Austauschstudenten die ich über die Uni in Ecuador (UEES) kannte. Alleine zu reisen, ginge aber auch, grad wenn man sich ein bisschen auskennt, mit den Bussen und Taxis und ausreichend Spanisch spricht.
Bewerbung
Ich habe die Uni und das Krankenhaus über die PJ-Länderliste des lpa Baden-Württemberg gefunden und das internationale Büro der Uni angeschrieben, die mir auf erneute Nachfrage dann sehr zuverlässig geantwortet und das etwas schwerfällige medizinische Dekanat zum arbeiten bewegt haben. Ich habe etwa 5 Monate vorher angefragt und ein Bewerbungsschreiben und Lebenslauf mitgeschickt. Valeria vom international affairs office hat vorher mit mir per zoom ein kleines Einführungsgespräch gemacht und über die Sicherheitslage und Unterkunft gesprochen. Auch während meines Aufenthalts war die Uni ein super Ansprechpartner und hat sich sehr um mich bemüht!
Mit dem Krankenhaus bzw. dem Oficina de Docencia hatte ich auch Kontakt - die sind in ihren Antworten aber eher unzuverlässig und unvollständig.
Man braucht definitiv seine eigene Kleidung! Und am besten auch einen Kittel. Gutes Spanisch (also B2 oder drüber) zu sprechen wäre auf jeden Fall sinnvoll, meins war irgendwo zwischen A2 und B1, was aber trotzdem ging. Der Akzent und die Geschwindigkeit in Guayaquil waren für mich bis zum Ende gewöhnungsbedürftig und ich musste oft nachfragen, was gesagt wurde, aber alle hatten Verständnis und geben sich mehr oder weniger Mühe verständlich zu reden.