Ich habe acht Wochen am Hôpital du Sacré-Coeur-de-Montréal verbracht und bin dabei vier Wochen auf die Plastische Chirurgie und vier Wochen auf die Orthopädisch-unfallchirurgische Abteilung rotiert.
Zunächst ein paar Worte zum Krankenhaus selber:
Das Krankenhaus ist das regionale Trauma-Zentrum der Metropolregion Montréal und entsprechend eine spannende Station für die Bereiche plastische und Unfallchirurgie. In beiden Bereichen habe ich die Tage entweder im OP oder in der Poliklinik und gelegentlich in der Notaufnahme verbracht. Die Stimmung war grundsätzlich sehr gut und die Motivation für Lehre hoch. Leider ist das Krankenhaus nicht in bestem Zustand, sehr viele Prozesse finden noch handschriftlich statt und (banal, aber wichtig) die Cafeteria lässt zu wünschen übrig (insb. für Menschen, die vegetarisch oder vegan essen). Die goldigen Mitarbeiter dort haben es einem aber fast wieder rausgeholt. Das Krankenhaus ist zudem etwas außerhalb des Stadtzentrums und nicht optimal angebunden, da es hier keine Metro gibt. Ich habe mich letztendlich entschieden, die 50 Minuten von Plateau Mont-Royal, wo ich gewohnt habe, mit dem Fahrrad zu fahren. Der Fahrradweg war super! Kurz gesagt: Es lohnt sich, wenn man sich für komplexe Polytraumata interessiert, gute Lehre haben möchte und über das ein oder andere strukturelle Problem hinweg lächeln kann.
Nun zur plastischen Chirurgie:
In der plastischen Chirurgie empfing mich ein sehr nettes Team aus Assistenzärzt:innen, die mich sofort integriert haben und super engagiert waren, viel zu zeigen und zu erklären. Ich war in einer iMessage-Gruppe mit den dreien und entsprechend viel involviert. Da es keine feste Struktur gab, habe ich oft bei den Assistenzärzt:innen nachfragen müssen, wo ich am nächsten Morgen aufkreuzen soll. Auf der anderen Seite bedeutete die fehlende Struktur aber auch, dass ich auch mal einen Tag zu Hause bleiben konnte oder nur kurz Bescheid gesagt habe, wenn ich doch mal früher gegangen bin.
Wer es entspannt leben möchte, ist aber erstmal fehl am Platz: Die Visite startete in der Regel vor sieben Uhr, gefolgt von teils sehr langen Tagen in OP oder Poliklinik. In der plastischen Chirurgie gibt es keine eigene Station, sodass alle visitierten Patient:innen Außenlieger auf verschiedenen Stationen sind (= lange Visiten mit viel Laufen) und i.d.R. entweder post-operativ liegen oder chronische Wunden haben. Im OP durfte ich i.d.R. sehr viel machen, mir wurde aktiv erklärt oder einfach zum Spaß Themen durchgesprochen. Ebenso wurde mir außerhalb des OPs vertraut. In der Poliklinik habe ich die gesamte Zeit eigene Patient:innen gesehen, untersucht und vorgestellt. Auch auf Konsile oder in die Notaufnahme bin ich gerne mal vorgeschickt worden, es fand jedoch immer eine Nachbesprechung statt. Das Stressniveau kann das jedoch manchmal knapp halten. Außer mir hat quasi nie jemand zu Mittag gegessen und die Arbeitszeiten waren für alle spürbar lang und anstrengend.
Das Team aus Fachärzt:innen war ebenfalls nett, es war jedoch schwieriger mit ihnen eine Bindung aufzubauen, da sie im kanadischen Modell in verschiedenen Krankenhäusern zugleich tätig sind und deshalb viel Wechsel herrscht. Zudem wurde ich tageweise auch mal in andere Krankenhäuser (Fleury, Jean Talon) geschickt, wenn dort spannendere OPs stattfanden. Das war in der Regel aber in meinem besten Interesse. Insgesamt durfte ich ein breites Feld an Subdisziplinen der plastischen Chirurgie sehen, darunter die Handchirurgie (Trauma und elektiv), die maxillofaziale Chirurgie (Trauma), Mamma-Rekonstruktionen (Eigengewebe und Implantate), chirurgische Wundversorgung, Mikrochirurgie bei Nervenläsionen etc. Es werden jedoch i.d.R. keine Verbrennungen behandelt, außer die Patient:innen haben ein signifikantes Inhalationstrauma.
Es folgt die unfallchirurgisch-orthopädische Abteilung:
Hier wird man auf demselben Rotationsplan geführt wie die Assistenzärzt:innen, ist jeden Tag OP, Poliklinik oder den "Appels" (d.h. Konsile und Notaufnahme) und einem festen Arzt oder Ärztin zugeteilt. Start war i.d.R. um 8 Uhr, wobei ich gegen Ende häufiger auch etwas später gekommen bin, da weder OP noch Poliklinik wirklich um die Uhrzeit starteten. Nachdem ich für die Visite in der plastischen Chirurgie sehr oft sehr früh hab aufstehen müssen, habe ich mich mit dem Gedanken an mein Schlafkonto auf dieser Abteilung auch nicht darum bemüht, an der Visite teilnehmen zu können.
Im OP habe ich sehr viele Polytraumata gesehen und entsprechend v.a. offene Repositionen und osteosynthetische Versorgungen aller Art,aber z.B. keine Prothese. Die Chirurgen sind durch die Bank sehr nett gewesen und haben mich unterschiedlich viel machen lassen, jedoch in der Summe deutlich mehr, als ich es aus Deutschland kenne. Einer meiner Lieblings-Chirurgen hat mich z.B. beim ersten Mal begrüßt mit den Worten "So, das wird dein Chirurgie-Tag" und dann unter seiner Führung ganze Plattenosteosynthesen schrauben und alle Nähte auf allen Ebenen nähen lassen. Stellt euch aber auch auf inhaltliche Fragen ein!
In der Poliklinik sieht man in der Regel über einen Tag hinweg nur die Patient:innen eines Facharzts oder einer Fachärztin, die i.d.R. recht spezialisiert sind. In der Konsequenz hat man dann einen Tag fast nur Hüft-Prothesen, einen Tag fast nur Füße und einen Tag fast nur Schultern. Persönlich fand ich, dass das ein ganz angenehmes Konzept zum Lernen ist. Ich habe – wie in der plastischen Chirurgie auch – die meiste Zeit Patient:innen direkt gesehen, untersucht und dann dem betreuenden Arzt oder Ärztin vorgestellt.
Da die Abteilung größer ist und man mit dem festen Rotationsplan jeden Tag mit jemand neuem arbeitet, hatte ich zumindest einen etwas weniger persönlichen Bezug zu den Kolleg:innen. Andererseits hab ich auch deutlich weniger Zeit und Energie investiert, als in der plastischen Chirurgie. Vielleicht lag es auch daran. Auch hier waren die meisten jedoch sehr nett und bemüht um Lehre.
Zum Abschluss noch ein paar letzte Worte zu Montréal: Die Stadt hat mir wahnsinnig gut gefallen, gerade zu dieser Jahreszeit! Anfang Mai, als ich ankam, fing es gerade erst an, grün zu werden. Eine Woche später war es schon hochsommerlich warm und die ganze Stadt ist darunter aufgeblüht. Es gab unendlich viele Festivals über die Stadt verteilt in meiner Zeit, wahnsinnig viele Möglichkeiten, die Zeit draußen auf Terassen oder in Parks zu verbringen und eine tolle Stimmung. Besonders schön fand ich es bei mir in Plateau Mont-Royal oder in Mile End. Große Empfehlung!
Bewerbung
Ich habe mich knapp ein Jahr vorher beworben. Es wird einem dann allerdings nur eine vorläufige Zusage von der Universität erteilt, unter der Voraussetzung, dass sich ein passender Praktikumsplatz findet. Das Angebot erhält man dann etwa drei Monate vor Praktikumsbeginn.
Insgesamt war die Bewerbung sehr aufwendig. Es müssen diverse Dokumente eingereicht werden, darunter u.a. ein handschriftliches Motivationsschreiben und Zeugnisse über klinische Praktika mit Bewertung. Außerdem fand ich persönlich die feste Zusage mit passendem Praktikumsplatz recht kurzfristig, um sich noch um alle Unterlagen für die Einreise zu kümmern. Es wird allerdings kein Arbeitsvisum benötigt, sofern man in das Collège des Medecins de Québec eingeschrieben ist (Teil der Bewerbungsphase, ging bei mir fix und unkompliziert) und eine ärztliche Untersuchung durch einen von der kanadischen Einwanderungsbehörde zugelassenen Arzt hat durchführen und validieren lassen (ggf. lange Anfahrtszeiten, höhere Kosten und wenig Termine). Hier findest du mehr Informationen dazu: