Klassischerweise bin auch ich - aufgrund sehr schlechter Erfahrungen in einer chirurgischen Famulatur in Deutschland - zum Chirurgischen Tertial in die Schweiz "geflohen".
Meine Wahl fiel auf Wattwil wegen der doch sehr guten Bewertungen in den letzten Jahren und ich hatte die Hoffnung, dass es mir hier als zunächst chirurgisch-desinteressierten PJler besser ergehen würde als Zuhause.
Und ich muss sagen, es war das beste Tertial meines PJs, weil ich sehr viel selbstständig arbeiten durfte, sehr viel gelernt habe, das Team immer freundlich ist (hier gibt es keine cholerischen Chirurgen oder grundsätzlich schlecht gelauntes OP- oder Pflegepersonal) und meine Arbeit auch sehr wertgeschätzt wurde.
Fazit: Chirurgie kann sehr viel Spaß machen und ist interessant.
Ablauf des Tertials:
An den ersten beiden Tagen erhält man eine Führung durchs Spital und einen Computerkurs für die notwendigen Programme.
Man wird überall freundlich aufgenommen und schnell ins Team integriert, sodass man zügig zum geschätzten Mitarbeiter wird (sowohl von ärztlicher als auch von pflegerischer Seite).
Die Kaderärzte und die Assistenzärzte waren immer bereit Fragen zu beantworte und haben sich Zeit genommen jeden aufgenommenen Patienten zu besprechen. Anhand dieser Fallbesprechungen gab es öfter auch kleine Fortbildungen zu Krankheitsbildern, Medikamenten, etc.
Chirurgische Tätigkeiten:
Natürlich muss man auch mal in den OP. Aber keine Angst. Alle sind sehr freundlich und es gibt immer Pausen zwischen den einzelnen OP-Punkten und man hat die Zeit etwas zu essen, zu trinken und auf die Toilette zu gehen.
Am Vortag wurde gemeinschaftlich entschieden, unter Berücksichtigung der eigenen Wünsche, an welcher OP man teilnimmt.
Die Assistenzärzte haben uns davor nochmal einen Naht- und Knotenkurs angeboten, sodass wir gut vorbereitet in den OP starten konnten.
Dort durften wir auch regelmäßig die Hautnähte und je nach Engagement auch Faszien-/Subcutannähte und zum Teil beim orthopädischen Belegarzt auch Teilschritte der OP selbstständig durchführen.
Während der OP durfte man selbstverständlich Fragen stellen! Es war kein Klappe- und Hakenhalten.
OP-Spektrum:
Unfall- und Visceralchirurgie, Proktologische Chirurgie
Belegärzte: Orthopädie, Urologie, Handchirurgie, Auge
In der Notaufnahme/Tagesklinik durften wir Patienten selbstständig nach Rücksprache versorgen, Platz- und Schnittwunden nähen und Gipse anlegen.
Für Voruntersuchungen der stationären Aufnahmen waren wir meist zuständig.
Falls es spannende Krankheitsbilder oder es etwas zu nähen gab, wurde man, wenn man nicht im OP war und das nötige Interesse und Engagement zeigte, stets dazu geholt.
Auf Station durften wir auch Patienten alleine betreuen. Die Kader- und Assistenzärzte hatten grundsätzlich ein offenes Ohr für Fragen und Festlegung des Procedere.
1-2x pro Tertial gibt es auch einen Gipskurs und seit diesem Sommer eine Gipssprechstunde, bei der man, wenn man möchte auch alle Gipse unter Aufsicht und Hilfestellung des Gipszimmerpersonals selbst anlegen darf.
Wir durften, wenn Zeit war, auch mit in die Sprechstunden der Kaderärzte oder in die orthopädische Praxis des Belegarztes.
Ich habe zusätzlich noch an 2 freien Tagen bei einem Hausarzt hospitiert.
Zu meiner Zeit waren wir anfangs 2 Unterassistenten (PJler) in der Chirurgie und einer in der Inneren, im letzten Monat wurden die Dienste unter 7 PJlern (Chirurgie, Innere, Anästhesie) aufgeteilt.
Die Picket-Dienste (Bereitschaft unter der Woche 17Uhr bis 7 Uhr und ganztags am Wochenende) werden mit je einem freien halben Tag vergütet. Man sollte innerhalb von 30min am Spital sein können. Den Pickett-Dienstplan konnten wir PJler selbst erstellen und aufteilen. Im Schnitt wird jeder während seines Tertials 2-3x gerufen.
Unterricht/Fortbildungen:
1x/Woche gab es eine gemeinsame Fortbildung für die Chirurgen und Internisten. Die Themen haben alle Fachgebiete gestreift (Derma, Gyn, Uro, Anästhesie, Innere, Chirurgie etc.). 1-2x in der Woche kam auch eine sehr engagierte Infektiologin aus St. Gallen.
1x/Woche gab es eine Röntgenbesprechung mit einem Radiologen, der die interessantesten Bilder der vergangenen Woche besprach. Man konnte auch Fragen stellen und lernte auch Befundungstechniken.
Während der chirurgischen Nachmittagsbesprechung gab es ab und zu auch kleine Kurzvorträge zu einem aktuellen Anlass.
Unterkunft und Umgebung:
Ca. 15 Gehminuten vom Spital gibt es zwei 4er-WGs, die neu eingerichtet sind und über eine Spülmaschine, Bad mit Badewanne und einen sonnigen Balkon mit Blick zu den Churfirsten verfügen.
Im Haus gibt es Gemeinschaftswaschmaschinen und -trockner.
7 Gehminuten ist einer der 4 Supermärkte entfernt.
Eine Joggingstrecke liegt direkt hinter dem Haus, sowie Fußball- und Volleyballplätze und Tischtennisplatten. Im Ort gibt es auch ein Freibad.
Für die, die mit dem Auto kommen, gibt es auch genug kostenlose Parkplätze an der Straße vor dem Haus.
Wattwil liegt sehr zentral. Es gibt viele kleinere und größere Wanderrouten von Wattwil aus.
Die Churfirsten und der Säntis sind ca. 30 Autominuten entfernt genauso wie der Züricher Obersee.
Zürich, St. Gallen und der Walensee sind in 45min mit dem Auto zu erreichen. Nach Österreich und Lichtenstein braucht man ca. 60min.
Im Winter liegt das nächste größere Skigebiet ca. 30min entfernt. Aber es gibt eine Menge kleinere Lifte direkt im Nachbarort.
Kurz zur Notenvergabe:
Stimmung der Station/Klinik:
Das Klima war insgesamt sehr gut, stets freundlich und höflich. Auch auf Station oder der Tagesklinik bekam man mal Kaffee oder Kuchen.
Aber auch hier gilt: Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus.
Kontakt zur Pflege/Ärzten
War grundsätzlich freundlich und hilfsbereit.
Man konnte auch zu den Konsil-Untersuchungen der Internisten bspw. Sono mitgehen, wenn man wollte, auch schon vorschallen. Und natürlich jederzeit Fragen stellen.
Auch in der Freizeit wurde viel zusammen unternommen (Konzerte, Essen, Kochen, Wanderungen, Grillen, Schwimmen etc)
PJler-Ansehen:
Deine geleistete Arbeit wird sehr wertgeschätzt. Man ist nicht einer der vielen PJler, die nur zum Blutabnehmen, Telefonieren, Haken halten und Botengänge machen da ist.
Man hat im gesamten Team seine Aufgaben, ist z.T. Ansprechpartner und es ist ein sehr harmonisches Arbeiten
Unterricht/ Lehre auf Station/Betreuung:
Den PJ-Unterricht, wie es ihn in manchen Kliniken 5x die Woche gibt, gibt es so nicht. Wie oben erwähnt gab es die Theoriefortbildungen, die Röntgenbesprechungen, die Nachmittagsbesprechungen und die vielen Fallbesprechungen (1:1 oder 1:2-Teaching). Praktische Fähigkeiten wurden einem durchweg vermittelt.
Die Betreuung war 1a! Alle hatten grundsätzlich ein offenes Ohr und Zeit Fragen zu beantworten. Das OP-Personal war immer bereit Tipps und Tricks (Nähen, Instrumente, Verbände, Wundversorgung etc.) zu zeigen.
Freizeit:
Das Toggenburg bietet viele Ausflugmöglichkeiten und tolle Landschaften, aber auch viele kostenlose Konzerte. Und im Winter Ski/Snowboard und Schlitten-Pisten.
Insgesamt:
Ich wurde hier in Wattwil vom "Chirurgie-Hasser" zum "Chirurgie-Begeisterten". Mir wurde gezeigt, dass es in einer chirurgischen Abteilung auch anders gehen kann. Ich habe sehr viel praktische Erfahrung sammeln und viele Fertigkeiten erlernen können und dürfen! Die schmale Gradwanderung von gefordert und gefördert werden, wurde sehr gut umgesetzt.
Ich würde jederzeit wieder nach Wattwil gehen.
Bewerbung
Bewerbung war knapp 1,5 Jahre vorher (Tertial-Beginn: 6/12 - Bewerbung: 3/11).
Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie private und berufliche Unfallversicherung wurde freundlicherweise vom Spital organisiert, sodass man im Vorfeld kaum Papierkram zu erledigen hatte.