Um es gleich mal vorneweg zu sagen: PJ in der Chirurgie am MGH ist nichts für Leute, die eine entspannte Zeit haben möchten.
Es geht unfassbar früh los und man kann eigentlich nie vor 17 Uhr nach Hause, Standard ist eigentlich eher so 17.00 Uhr - 18.00 Uhr. Übergabe an den Nachtdienst ist um 18.00 Uhr und wenn man Pech hat, dann muss man die auch noch mitmachen und bleibt dann dementsprechend bis 18.30 Uhr.
Zum Morgen: Visite ist immer um 06.00 Uhr früh. Als Medizinstudent wird erwartet, dass man die Visite vorbereitet. Das bedeutet Labore, radiologische/mikrobiologische Befunde und Vitalparameter aller Patienten auf Station checken und Auffälligkeiten notieren. Weiterhin Akten für die Visite zusammensuchen und schon einmal die Visiteneinträge vorbereiten. Das heißt: Spätestens um 05.45 Uhr fertig angezogen auf Station erscheinen, wenn man schnell ist und Hilfe anderer Studenten hat. Wenn man alleine ist und noch gar keinen Plan hat..naja, rechnet's euch selber aus. Es ist also wirklich der Wahnsinn, wie viel man arbeiten muss. Ich hatte das Glück, dass ich noch relativ zentral in der Stadt gewohnt habe, musste aber dennoch um kurz nach 04.00 Uhr jeden Morgen aufstehen (Kanadischer Winter und die damit einhergehenden Straßenverhältnisse + so früh ist der ÖPNV auch noch nicht so wirklich oft am Start).
Zu den Aufgaben: Ich war für die 8 Wochen im G-Service Team. Das ist das Team, welches die elektiv operierten allgemeinchirurgischen Patienten auf Station betreut. Die letzten 3 Wochen musste unser Team auch noch die Aufgaben des ACS (Acute Care Service) - Teams (alle allgemeinchirurgischen Konsile + allgemeinchirurgische Notaufnahme in einem Haus der Maximalversorgung) übernehmen, da Personalmangel herrschte.
Zum Tagesablauf: Unser Team bestand in den ersten 4 Wochen aus einem Senior/Chief Resident (Arzt kurz vor dem Facharzt), einem allgemeinchirurgischen Assistenzarzt und einem Arzt aus der Plastischen Chirurgie, welcher gerade seine allgemeinchirurgische Rotation absolvierte. Zusätzlich noch ein McGill-Medizinstudent und ich. Die Attendings (Oberärzte) stehen hier über den Dingen und helfen gar nicht im Stationsalltag. Sie sind ausschließlich für den OP und die eigene Sprechstunde zuständig. Um 06.00 Uhr startete der Tag wie gesagt mit den Rounds (=Visite). Diese musste bis spätestens 07.30 Uhr abgeschlossen sein, weil da mussten alle (!) Assistenzärzte in den OP. Je nach Patientenzahl war das manchmal gut zu schaffen, so dass noch Zeit für ein gemeinsames Frühstück blieb, oder eben gar nicht zu schaffen, so dass wir beiden Studenten die Visite selbst fertig machen mussten. Wenn alle Assistenten im OP waren musste immer ein Student auf Station bleiben und die Station alleine schmeißen. Das war ziemlich blöd ehrlich gesagt, weil man keine Anordnungen oder ähnliches selbst machen durfte. Man darf als Student logischerweise nichts Wichtiges selbst unterschreiben. Das heißt, man hat die Probleme, welche die Pflege einem mitgeteilt hat, und die Anordungen/Diagnostikanforderungen etc. gesammelt und zu den Assistenten in den OP (4 Stockwerke runter) gebracht. Diese haben dann unterschrieben und man hat das ganze Zeug dann wieder nach oben auf Station gebracht. Wenn man Glück hatte, dann kamen die Assistenten zwischen den Punkten mal auf Station und haben nach dem Rechten gesehen. Es gab aber Tage, an denen ich von 07.15 Uhr bis 17.00 Uhr alleine auf Station war. Das ist eigentlich eine Riesenverantwortung und man möchte meinen, dass man da eine Menge lernt, es war allerdings so, dass vieles auch von den Assistenten hinter den Studenten angeordent wurde, so dass man selbst eigentlich kaum den Überblick behalten hat, sondern immer nur dahinter war, die Anliegen der Pflege oder der Patienten den Ärzten zu überbringen und andersherum. Da man selbst nichts entscheiden durfte, hab' ich mich teilweise wie eine Brieftaube gefühlt, die zwischen Station und OP hin - un hergeschickt wurde, mit dementsprechendem Lerneffekt. Die Tätigkeiten auf Station waren: Entlassungsrezepte vorbereiten (unterschreiben müssen's die Assistenten), Entlassungsbriefe vorbereiten (korrigieren müssen's die Assistenten), Labore mehrmals täglich checken (jeder Patient bekommt in der Chirurgie (!) jeden Tag, teilweise mehrfach, Blut abgenommen - einem Blutentnahme-Dienst sei Dank; die Ärzte haben teilweise keinen Schimmer, was das für Patienten, die teilweise 4-6 Wochen stationär liegen bedeutet und haben in ihrem Leben auch selbst noch nie einen Butterfly in der Hand gehabt), Konsile telefonisch anmelden (dauernd - auch für Patienten, die man überhaupt nicht kennt; das ist teilweise echt peinlich, weil man am Telefon von den konsiliarisch befragten Ärzten ja auch Rückfragen erhält, die man oft einfach nicht beantworten kann, weil man gar keinen Strahl hat, um was es eigentlich geht), Visiteneinträge schreiben und Reha - /Pflegedienst -/Homecare -Anträge ausfüllen. Am Patieten macht man eigentlich so gut wie gar nichts (vielleicht mal 'ne Magensonde legen). Das macht alles die bestens ausgebildete und überragend besetzte Pflege. Das war echt ein Augenöffner. Die waren echt top, immer nett und wirklich um den Patienten bemüht. Ich hatte das Gefühl, dass die Patienten besser dran gewesen wären, wenn die Pflege einfach alle Anordnungen selbst hätte machen dürfen. Aber nein - der Weg war: Pflege sagt es mir - ich sage es dem Assistenten - der Assistent ruft die Pflege an und gibt die Anordnung telefonisch.
Im OP war es leider nicht wirklich besser, obwohl ich immer lieber im OP dumm rumstand, als auf Station dem Stress des Grauens ausgesetzt zu sein, dem man oft aus organisatorischen Gründen nichts entgegen setzen konnte. Da alle, wirklich alle Assistenten im OP waren, war es nicht selten, dass eine laparoskopische Galle zu viert operiert wurde und man als Student noch daneben sitzen "durfte" und die OP auf dem Bildschirm mitverfolgen konnte. Super spannend, vor allem wenn man schon 2 Famus in der Viszeralchirurgie gemacht hat. Manchmal durfte man an den Tisch, aber man durfte wirklich sehr selten mal etwas machen. Trokarlöcher zunähen war da schon das höchste der Gefühle. Das hat dann irgendwann dazu geführt, dass die offene Hernien-OP (ja, wirklich die) zu meiner Lieblings-OP wurde, weil da durfte man dann den 3 cm langen Hautschnitt zunähen. Das konnte ich eine Woche genießen, dann hat's ein Fellow (Facharzt, der beispielsweise eine Ausbildung zum Speziellen Viszeralchirurgen macht) gecheckt und ab dann hat er mir die Hautnaht dann dankenswerterweise abgenommen, weil man diese Fähigkeit in der Ausbildung zum Speziellen Viszeralchirugien mit Sicherheit noch vertiefen kann. Was auch Wahnsinn war, waren die Überleitungsphasen zwischen den OPs. Es waren zwar morgens alle möglichen Menschen um 07.30 Uhr im OP, Schnitt war aber frühestens um 08.00 - 08.30 Uhr. Bis dahin standen alle rum und haben sich wichtig verhalten. Und zwischen zwei Punkten ist nicht selten eine Stunde vergangen, bis es weiterging. Und nochwas: Es gab nicht wirklich viele spannende Eingriffe. Meistens gab's echt nur laparoskopische Gallen und Hernien bzw. laparoskopische Darmresektionen. Und viel, ja sogar sehr viel, Proktologie. Also Hämorrhoiden. Hämorrhoiden-OP als vierter Assistent. Nice.
Als in den zweiten vier Wochen das Team dann wechselte und uns ein weiterer Assistenzarzt zugeteilt wurde, habe ich stationsmäßig auf Besserung gehofft. Pustekuchen, es wurde schlimmer. Unser Chief-Resident nahm den zusätzlichen Berufsanfänger zum Anlass gar nicht mehr zu kommen und die beiden neuen Assistenzärzte waren ein verheiratetes Paar, die an willkürlicher Aufgabenzuweisung nicht zu überbieten waren. Da musste man dann nur noch in deren Auftrag irgendwelche Leute anrufen und nach irgendwelchen Dingen fragen, die sie gerade so wissen wollten. Außerdem ging's da dann los, dass man nicht mehr zwischen 17.00 Uhr und 18.00 Uhr gehen durfte, sondern, dass man immer bis zur Übergabe, also bis 18.30 Uhr, bleiben musste. Außerdem mussten wir dann noch die ACS - Aufgeben übernehmen. Da die Assistenten oft keine Zeit hatten (im OP bei der Galle dritter Assistent und so) haben wir Studenten dann die Konsile gemacht und die Patienten in der Notaufnahme gesehen. Wir durften aber nichts entscheiden, sondern mussten die ganze Arbeit machen und dann dem Assistenten berichten und der hat dann, oft auch ohne Bescheid zu geben, die Therapie entschieden und dem Attending übergeben.
Die Attendings sind zwar teilweise echt nett und erklären ein bisschen was im OP, es ist aber so, dass man die nur im OP und in der Clinic zu Gesicht bekommt. Jeden Dienstag war G-Service-Clinic, was einer Sprechstunde entspricht. Das war eigentlich noch mit am spannendsten, weil man da Patienten anamnestizieren und untersuchen soll und diese dann den Attendings übergibt. Die besprechen mit einem dann das weitere Vorgehen und gehen dann mit einem selbst nochmal zum Patienten. Da konnte man tatsächlich mal was mitnehmen. Waren aber oft auch einfache postoperative Kontrollen, das war dann auch nicht so weltbewegend.
Einmal die Woche waren morgens Grand Rounds. Das entspricht einem Journal Club, bei dem erfahrende Assistenten Paper vorstellen. Das war ganz cool und da gab's kostenlos Kaffee und Muffins.
Ansonsten sollte es noch einmal die Woche G-Service Rounds geben. Da kamen dann alle Attendings und man sollte als Student oder als junger Assistenzarzt Paper vorstellen. Das hat aber nur zweimal stattgefunden und der Krug etwas präsentieren zu dürfen/müssen ist am mir vorübergegangen. Außerdem wurden da noch Morbidity & Mortality - Reports gemacht.
Teaching seitens der Assistenzärzte gab es, bis auf wenige Ausnahmen, überhaupt nicht.
Noch etwas zur Stimmung im Team: Die Assistenten müssen brutal viel arbeiten und verdienen wirklich teilweise sehr schlecht. Außerdem sind die Aussichten einen Platz als Attending zu bekommen sehr gering (es gibt wohl einige fertige Fachärzte, welche Uber fahren müssen, weil sie keinen Job finden). Das heißt, diejenigen Assistenzärzte, die in Kanada arbeiten wollen, kriechen den Attendings so richtig in den Hintern um einen guten Eindruck zu machen. Davon ausgenommen sind viele ausländische Assistenzärzte, welche in Montreal ihre Facharztausbildung (gegen einen kleinen Obulus aus der Heimat an die McGill University) absolvieren. Denen ist meistens alles ziemlich schnuppe. Wen wundert's. Es nehmen also viele ausländische Ärzte den einheimischen Medizinern die Assistenzarztstellen weg, was sich dann auch auf die Medizinstudenten auswirkt. Die Auswahltverfahren um eine Assistentenstelle zu bekommen sind brutal. Und die Studenten, welche in die General Surgery wollten, haben wirklich extrem geschleimt und alles fraglos akzeptiert, was so abgelaufen ist. Da herrschte teilweise ein richtiges Angstklima, weil die Jungs und Mädels Bammel hatten, dass irgendein Assistenzarzt dem Program Director sagt, dass er einen Medizinstudenten nicht mag und dieser dann keine Assistenzarztstelle bekommt. Ich habe selten so unmündige Studierende , aber auch Assistenzärzte, erlebt, die einfach alles schlucken, was so abläuft und sich nicht trauen irgendetwas zu sagen um ihre Situation zu verbessern. Von den gegenseitigen Ausstech-Versuchen ganz zu schweigen. Und über allem schweben die fest angestellten Attendings, die es geschafft haben. Die verdienen unfassbare Mengen an Geld und verhalten sich teilweise so, wie man es von Leuten erwartet, die es in einem solchen System an die Spitze geschafft haben.
Das Montreal General Hospital ist auch baulich in keinem guten Zustand und gehört dringend renoviert. Es wurde in der Stadt schon ein riesiges neues Krankenhaus gebaut und es bleibt abzuwarten, ob und wie lange dieses Krankenhaus in der Form weiter bestehen bleibt.
Insgesamt kann ich das PJ in der Allgemeinchirugie am MGH nicht empfehlen. Für die hohen Gebühren und die wahnsinnige Arbeitsbelastung lernt man leider sehr wenig und die Stimmung habe ich teilweise als gruselig empfunden. Ausnahmen, die es aber definitiv auch gab, bestätigen wie immer die Regel.
Ich habe dennoch viel mitgenommen für mich. Sich in einem anderen Gesundheitswesen und in einem anderen Land zurechtzufinden hat micht definitiv weitergebracht. Auch wächst man an der Herausforderung medizinisch in einem fremdsprachigen Land tätig zu sein. Und man hat eben mal über den Tellerrand hinausgeschaut.
Ich war in der Schule für einige Zeit in Montreal und liebe daher diese Stadt, auch im Winter. Ich hatte dort viele Freunde und bin auch bei denen untergekommen. Im Winter ist es mit Sicherheit nicht für jeden etwas und aufgrund der hohen Arbeitsbelastung ist es auch nicht oft möglich rauszukommen. Ich war dennoch so oft wie möglich Skifahren am Wochenende und habe die Stadt genossen.
Bewerbung
Bewerbung läuft über das AFMC-Portal. Am Besten rechtzeitig informieren (mind. 1 Jahr vorher), damit man zur Bewerbungsfrist (ich glaube 6-8 Monate vor Beginn) alle Unterlagen (v.a. benötigte ärztliche Unterlagen und Unterlagen der eigenen Uni) beisammen hat.
Es ist doch recht aufwändig, jedoch kann man auf dem AFMC-Portal alles nachlesen und wenn man sich einliest, kann man eigentlich auch nicht viel falsch machen.
Visum und Arbeitserlaubnis braucht man für 2 Monate nicht. Allerdings braucht man, wenn man im Gesundheitswesen arbeiten möchte, eine ärztliche Untersuchung, ohne die man nicht einreisen darf und eine elektronische Reiseauthorisierung (eTA; vergleichbar mit ESTA in den USA). Die Informationen hierzu gibt es auch auf dem AFMC-Portal.
Gleich vorneweg - es ist brutal teuer: Studiengebühren für die 8 Wochen 800 CAD; Registrierungsgebühr CMQ (Collège du Médecins du Québec) 120 CAD; Ärztliche Untersuchung für das Visum 280 €; Kosten einer amtlich beglaubigten Kopie des Reisepasses; Impfungen und Untersuchungen für die Bewerbungsunterlagen; Flug; Unterkunft; Verpflegung