PJ-Tertial Allgemeinchirurgie in Freeman Hospital (11/2023 bis 1/2024)
Station(en)
HBP surgery
Einsatzbereiche
Station, Notaufnahme, Poliklinik / Ambulanz / Sprechstunde, Diagnostik, OP
Heimatuni
Bochum
Kommentar
Das PJ in Newcastle: Allgemeines
Ich verbrachte die ersten acht Wochen, also die Hälfte meines chirurgischen PJ-Tertials, in der Leber- und Pankreaschirurgie (hepatobiliary and pancreatic surgery, HBP surgery) am Freeman Hospital in Newcastle. Das Krankenhaus ist praktisch das größte und spezialisierteste medizinische Zentrum im Norden bzw. Nordosten Großbritanniens und behandelt viele komplexe Fälle. Nach ein paar Formalia am ersten Praktikumstag traf ich meinen Supervisor, Mr. French, welcher mir seine Vorstellungen von meiner Zeit dort erläuterte und erfragte auch meine Wünsche. So konnte man schon einmal ausloten, was gut möglich und machbar ist. Während der ersten Tage machte ich mich mit Unterstützung der Assistenzärztinnen und -ärzte mit dem Tagesablauf und der groben Organisation in der Klinik vertraut. Die Arbeitstage begannen später als in Deutschland, meist zwischen 8:00-8:15 Uhr. Der Fokus lag auf der HPB Surgery, doch hatte ich auch die Gelegenheit, andere Fachrichtungen zu erkunden. Zeigt Initiative, dann kann man viel erleben! Die entspannte Stimmung im OP („Theatre“ genannt) und in der Klinik im Allgemeinen fiel im Vergleich zu Deutschland auf. Neben den klinischen Aspekten war es zudem spannend, das NHS von innen kennenzulernen. Positive Aspekte waren die flache Hierarchie, der persönliche Umgang und die hohe Lehrbereitschaft. Negative Aspekte umfassten die hohen Wartezeiten auf Arzttermine und OPs, die teils einer inhärenten Ineffizienz des Systems geschuldet sind. Freizeittechnisch hat Newcastle und die Umgebung viel zu bieten. Auch das Vernetzen mit anderen Studierenden, sowohl anderen deutschen als auch weiteren international Studierenden war ziemlich unkompliziert und extrem bereichernd über den gesamten Zeitraum. (Nice to know: Das Freeman Hospital liegt am Stadtrand von Newcastle, jedoch sind regelmäßige Shuttle-Busse und die Nähe zum Royal Victoria Infirmary gute Anbindungen. In der Klinik trug man smart casual Alltagskleidung, es war aber auch möglich, Kasaks zu tragen. Also nicht in Panik versetzen lassen, wenn man den Dress Code sieht! Die smart casual Alltagskleidung benötigt, wann in der Regel nur am ersten Vorstellungstag bzw. in der Out-Patient Clinic, sonst kann man sich Scrubs/Kasaks & Hosen organisieren, was auch alle Assistenten tragen.)
Praktikumsdurchführung
Aufgaben und Betreuung:
Die Aufgaben im klinischen Einsatz waren vielfältig und ermöglichten einen umfassenden Einblick in die Leber- und Pankreaschirurgie. Von der Assistenz im OP über das Führen der Kamera bis zum Klammern/Nähen wurden mir verschiedene Tätigkeiten zugeteilt. Die Zusammenarbeit erfolgte hauptsächlich mit einem Consultant und einem Registrar, wobei eine entspannte Atmosphäre im OP und generell in der Klinik herrschte.
(Für den Beginn: Nicht verwundert sein, es wird sich anders eingewaschen und die Sterilitätsanforderungen werden deutlich entspannter ausgelegt als in DE. Man wäscht sich mit Wasser und spezieller antimikrobieller Seife ein, kleidet sich i.d.R auch selber steril ein und bis auf die Leute, die unmittelbar am OP-Tisch stehen, tragen auch die wenigsten OP-Masken.)
Im weiteren Verlauf habe ich auf Grundlage der Ratschläge meines Supervisors verschiedenen Stationen der chirurgischen Diagnostik bzw. der dazugehörigen klinischen Arbeit durchlaufen, was mein Verständnis des Faches und der jeweiligen Arbeitsabläufe noch einmal vertieft hat.
So habe ich neben OP und Stationsarbeit auch einen Tag in der Endoskopie und der Radiologie verbracht. Zudem habe ich an einer interdisziplinären Teamsitzung teilgenommen, was alleine aufgrund der anderen Sprache sehr interessant war.
Ergänzend dazu war ich jeden Mittwoch mit meinem Supervisor in seiner klinischen Sprechstunde in der Out-Patient Clinic. In UK gibt es kein breites ambulantes Facharztsystem wie in Deutschland, so dass bei fachärztlichen Konsultationen die Patienten Termine in den Kliniken machen, um sich dort mit einem Arzt bzw. einer Ärztin, der oder die dort arbeitet, vorzustellen. So hat man auch viel über ambulantes perioperatives Management gelernt.
Die Möglichkeit, auch andere Fachrichtungen zu erkunden, erweiterte meinen Horizont. Ich konnte ganz flexibel andere Ärzte aus diversen Fachbereichen kontaktieren, so dass ich auch mal einen Tag in der Nephrologie oder Kinderkardiolgie verbringen konnte. Darüber hinaus durfte ich unter Vermittlung meines Supervisors eine Woche in der Herz-/Thoraxchirurgie hospitieren und ein paar Tage in die Notaufnahme des Royal Victoria Infirmary (RVI), welches mehr im Stadtzentrum liegt, rotieren. Da das Freeman Hospital sehr spezialisiert ist und in der Regel nur Elektivpatienten aufnimmt, muss man in das RVI für eine Rotation in die Notaufnahme. Das ist es aber auf jeden Fall wert!
Konflikte und Lösungswege:
Konflikte waren bei mir wirklich nicht existent. Sollten jedoch welche auftreten, würde mit Sicherheit Unterstützung geboten. Die flache Hierarchie und die offene Kommunikation ermöglichen es, Missverständnisse rasch zu klären. Der respektvolle Umgang miteinander fördert ein positives Arbeitsklima, und die betreuenden Ärzte zeigen prinzipiell alle eine hohe Lehrbereitschaft, was die Lösung von Problemen allgemein erleichtert.
Alltag und Freizeit:
Im Alltag war die Flexibilität hervorzuheben, da zwischen OP, Ambulanz und Station gewählt werden konnte. Die Abende verbrachte ich oft mit anderen deutschen PJlern. Die initiale Vernetzung unter uns war kein Problem, da sich das International Office sehr offen zeigte, E-Mail-Adresse weiterzuleiten, so dass man sich austauschen konne. Das Nachtleben von Newcastle bot große Abwechslung. Man kann auch mit der Fachschaft Medizin der University of Newcastle in Kontakt treten, um an deren Veranstaltungen teilzunehmen. Die Menschen im Nordosten sind überdies in aller Regel sehr offen und extrem nett. Die sozialen Kontakte waren sehr bereichernd; vor allem mit den anderen internationalen Studierenden. Die Stadt und ihre Umgebung boten zahlreiche Freizeitmöglichkeiten, darunter der Besuch des Hadrian's Wall, Ausflüge nach Edinburgh (z.B. auf den Weihnachtsmarkt), Fahrten nach York oder Spaziergänge an der Küste in Tynemouth. Es empfiehlt sich, auch wenn es anfangs etwas umständlich ist, sich eine Student ID Card zu organisieren, da man so am Angebot der Student Union (ähnlich zu einer dt. Fachschaft), wie bspw. umfangreiche Sportkurse, kostengünstige Fitnessstudiomitgliedschaften oder auch günstige Fahrten, teilnehmen darf.
Evaluation
Die beste Erfahrung während meines Aufenthalts in Newcastle war zweifellos das Sammeln von medizinischen Erfahrungen im Ausland, der Austausch mit anderen Studierenden aus der ganzen Welt und die neuen Eindrücke, die man über England gewonnen hat. Zudem schätzte ich die durchweg freundliche Atmosphäre im Krankenhaus, so dass ich diese Einstellung gerne nach Deutschland mitzurückgenommen habe. Die Möglichkeit, verschiedene Fachrichtungen zu erkunden, und die positive Einstellung der Mitarbeiter trugen maßgeblich zu meiner persönlichen und fachlichen Entwicklung bei. Wenn man offen ist und sich durchfragt, kann man auf diese Weise viel Interessantes erleben! Die schlechteste Erfahrung war möglicherweise die Erkenntnis über die immensen Wartezeiten und die Ineffizienz im britischen Gesundheitssystem. So lernte ich auch wertzuschätzen, was die Arbeitstaktung in deutschen Kliniken mit sich bringt, v.a. wenn man es nicht zur Überlastung kommen lässt. Insgesamt überwogen die positiven Erfahrungen, und der Aufenthalt in Newcastle bot nicht nur einzigartige und gute medizinische Erfahrungen, sondern auch kulturelle Bereicherung und hoffentlich noch länger anhaltende Freundschaften.
Bewerbung
Planung und Vorbereitung:
Schon seit dem Beginn des klinischen Studienabschnitts war mir klar, dass ich einen Teil meines PJs im Ausland verbringen möchte. Da ich bereits positive Erfahrungsberichte aus England gelesen und gehört hatte, war nach reiflicher Überlegung das Vereinigte Königreich mein bevorzugtes Ziel. Die Planung begann etwa ein Jahr im Voraus mit der Auswahl von Städten und Universitäten. Newcastle upon Tyne wurde als Ziel gewählt, da die Bewerbungskriterien, -kosten und bürokratischen Anforderungen sehr gut mit den formalen Regularien für das deutsche Praktische Jahr vereinbar waren. Konkret habe ich die Sekretärin meines Supervisors ca. 11 Monate (formal späteste Frist: 6 Monate) vor dem geplanten Start meines Praktikums telefonisch kontaktiert. Dies war der primäre Weg, da selten E-Mail-Adressen des medizinischen Personals auf öffentlich zugänglichen Websites zur Verfügung stehen, aber jedoch entsprechende Telefonnummern. Daraufhin gab mir die Sekretärin ihre E-Mail-Adresse durch, so dass sie meine Bewerbungsunterlagen weiterleiten konnte. Nach einer Woche erfolgte die Zusage und man konnte mit dem International Office die Abwicklungen der weiteren Formalia klären. Dies gestaltete sich im Verlauf als überaus unkompliziert, da alle notwenigen Informationen einfach im Internet zu recherchieren sind bzw. einem direkt per Mail von den universitären Mitarbeitenden zugesendet werden. Sie standen für Rückfragen ebenfalls jederzeit zur Verfügung. Die Wohnungssuche gestaltete sich aufgrund der hohen Mietkosten als Herausforderung, aber durch die Unterstützung der Universität sicherte ich mir einen Platz in den zentral gelegenen Staff & Visitor Accommodations am Windsor Place. Die Unterkunft ist zwar echt teuer und dafür, typisch britisch, ziemlich schlecht isoliert – dafür konnte man sich bei Problem immer an die Verwaltung wenden und hatte keine extra Nebenkosten. Wer jedoch kostengünstiger leben möchte, sollte sich etwas anderes suchen.
Tipps für die Praktikumssuche:
- Beginne frühzeitig mit der Planung und Suche nach möglichen Kliniken und Universitäten.
- Überprüfe dabei die Anforderungen des deutschen PJ-Programms und wähle ein ausländisches Klinikum, das diese erfüllt.
- Nutze E-Mail-Kontakte/Telefonnummern, um Supervisoren zu finden. Probiere evtl. verschiedene E-Mail-Adressen aus, um erfolgreich Kontakt aufzunehmen.
Tipps für die Wohnungssuche:
- Beachte die hohen Mietkosten in England und erkundige dich nach universitären Unterkünften.
- Suche nach privaten Wohnheimen oder Wohngemeinschaften auf Plattformen wie spareroom.com.
- Plane deine An- und Abreise rechtzeitig und überprüfe, ob ein Visum erforderlich ist. (für dt. Staatsbürger aktuell nicht notwendig (Stand: Nov. 2023))
Tipps für die Formalia:
- Beachte, ob die Klinik bereits vom Landesprüfungsamte (LPA) anerkannt wurde; wenn nicht, Anerkennung in die Wege leiten (siehe Website Fakultät oder LPA).
- Erstelle Dir einen Plan, wann welche Dokumente einzureichen sind bzw. nachzureichen sind
- Suche nach preisgünstigen Angeboten für Versicherungen, v.a. eine Berufshaftpflichtversicherung, die für Newcastle verpflichtend ist. (z.B. Vergünstigungen durch Mitgliedschaft im Marburger Bund/Hartmannbund)
Extratipps:
- am besten irgendwie ein Fahrrad organisieren (z.B. über die Website Gumtree), da manchmal die Busse/die Metro nur eingeschränkt fahren bzw. nicht so lange bis in die Nacht verfügbar sind
- eine Traincard empfiehlt sich ebenfalls sehr, wodurch man nach einmaliger Zahlung von 30 Pfund bei jeder weiteren Buchung 1/3 des Ticketpreises einspart