Wer Lust auf ein Chirurgie Tertial am Meer hat, in dem man in einem liebevollen und wertschätzendem Arbeitsumfeld (sehr untypisch für die Chirurgie) die Basics lernt, ist in Wolgast genau richtig.
Die chirurgische Abteilung besteht aus 2 Stationen (Allgemein- und Unfallchirurgie). Das Team ist mit 4 Assistenzärzten:innen, einem Facharzt, drei Oberärzt:innen und dem Chef relativ klein und wie die meisten Kliniken in Deutschland auch etwas unterbesetzt, was allerdings dazu führt, dass man sehr schnell ins Team eingebunden ist, Verantwortung übernimmt und wertgeschätzt wird.
Ich habe mich dazu entschieden, mein gesamtes Tertial in der Allgemeinchirurgie zu verbringen (durch die Größe der Abteilungen wird man allerdings auch mal im Unfallchirurgischen OP gebraucht und nimmt Unfallchirurgische Patienten auf o.ä.)). Die Station hat ca. 20 Betten und ein von pflegerischer Seite aus super nettes Team, in das man herzlich willkommen geheißen wird. Es wäre natürlich auch möglich gewesen, auch die Abteilung zu wechseln, je nach dem eigenen Interesse. Generell hat man als PJler hier sehr viel Gestaltungsfreiraum, ganz nach der individuellen Interessenlage, ganz nach dem Prinzip "alles kann, nichts muss". So konnte ich so viel ich wollte bei den Endoskopien zuschauen (und auch mal assistieren/ die Sedierung übernehmen/ mal etwas selber das Endoskop zurückziehen etc.). Hier wurde mir durch den allgemeinchirurgischen Oberarzt immer sehr viel erklärt und geduldig alle Fragen beantwortet. Rotationen in die Notaufnahme sind auch kein Problem. Ebenfalls konnte ich nach Rücksprache mit der anästhesiologischen Chefin Notarzt mitfahren (allerdings ist es in der Region um Wolgast sehr ruhig, sodass sich die Frequenz der Einsätze und die "Action" öfter mal in Grenzen halten). Auch durfte ich nach Rücksprache mit der Chefin zwei Wochen auf der anästhesiologisch geführten Intensivstation mit 6 Betten verbringen. Die Zeit dort war richtig super. Eine sehr Intensiv- und Weaningerfahrene Internistin und ein sehr erfahrener und lustiger Anästhesist und Notfallmediziner haben mir viel gezeigt, erklärt und mich auch eigene Patienten übernehmen lassen. Ebenfalls haben sie sich wenn die Zeit war teilweise einfach mal eine halbe Stunde Zeit genommen und 1:1 Teachings z.B. zu Beatmung etc. aus dem Stegreif veranstaltet. Für ein so "kleines" Haus wird hier überraschend viel Intensivmedizin betrieben und wirklich schwer kranke Patienten betreut, sodass man sehr viel sehen und lernen kann. Generell ist das Team der Anästhesie unheimlich nett und aufgeschlossen. Im OP wurde mir bei den Ein- und Ausleitungen, bei denen ich immer freiwillig oder zum anschließenden Lagern und Umbetten dabei war, sehr viel gezeigt und ich durfte regelmäßig die Maskenbeatmung durchführen und/ oder intubieren. Was auch sehr besonders ist, ist dass die Anästhesie hier unheimlich geduldig ist. So wird, wenn das Nähen beim PJler eben mal etwas länger dauert kein Druck aufgebaut und in der Regel die Narkose auch erst abgestellt, wenn man wirklich ganz fertig ist. Ich kann jedem, der anästhesieinteressiert ist empfehlen hier eine Famulatur oder besser noch ein Anästhesie Tertial zu verbringen (wenn Wolgast etwas näher an meiner Heimat ist, würde ich das zu mindest machen). Durch Wirbelsäulenchirurgen die Belegbetten haben, finden hier auch regelmäßig große OPs mit ebenfalls großen Einleitungen (ZVK, Arterie...) statt und die anästhesistische Abteilung legt quasi alle ZVKs die im Haus gemacht werden, sodass es hier sehr viel zu sehen gibt. Gleichzeitig übernimmt die Anästhesie fast täglich den Notarztdienst sodass man auch mitfahren und auf der Intensiv viel lernen und mitmachen könnte.
Vor dem Umgang im OP hatte ich, als chirurgisch völlig unerfahrene PJlerin am meisten Respekt. Hier wurde ich allerdings seitens der OP Pflege sehr nett empfangen und unterstützt. Es wird alles von Anfang an (Einwaschen, Kittel anziehen etc.) ganz genau erklärt und man bekommt besonders von den erfahrenen Pfleger:innen oft wertvolle Tipps für das assistieren oder nähen zugeflüstert. Wenn man mal etwas unsteril macht, ist das auch kein Problem (es wird dann in der Regel ganz ruhig etwas gesagt wie z.B. "Oh tut mir leid aber ich glaube du hast gerade deine Hand/ Arm/ das Abdecktuch etc. unsteril gemacht)". Dass man hier als PJler angemeckert/ lächerlich gemacht oder sogar angeschrien würde, wäre absolut undenkbar. Auch seitens der Oberärzt:innen ist der Umgangston dauerhaft wertschätzend und freundlich. Insbesondere wird ganz klar signalisiert, dass Frauen in der Chirurgie total willkommen sind. Das OP-Spektrum ist entsprechend der Größe der Abteilung natürlich recht klein, aber man darf als PJler sehr viel machen (selbst wenn man keine Vorkenntnisse hat in der) : Nähen (subkutan, intrakutan, Hautnaht, Drainagen durchstechen und annähen), bei laparoskopischen Eingriffen Kamera führen oder mal die Galle eintüten, oder auch mal einen Trokarzugang machen. Auch in der Unfallchirurgie bekommt man viel gezeigt. Der Chef (der eigentlich nur Unfallchirurgie macht) ist sehr daran, den PJlern und Assistent:innen (die hier super früh sehr viel operieren dürfen) viel beizubringen. Daher glaube ich, dass trotz des kleinen Spektrums auch Chirurgie-interessierte PJler hier gut aufgehoben wären und praktisch viel lernen könnten.
PJ Unterricht gibt es per se nicht offiziell. Allerdings findet während OPs und der Visite sehr viel Teaching statt und man kann jederzeit alle Fragen stellen. Freitags kommt in der Allgemeinchirurgie auch immer ein ehemaliger Chefarzt aus Berlin, der eigentlich in Rente ist aber immer Freitags noch etwas operiert, der allerdings sehr gerne Unterrichtet und auch Prüfungssimulationen macht (allerdings etwas gefreestylt). Man muss ihn hierzu allerdings Fragen und darauf ansprechen.
Generell ist das Team der Chirurgie im Krankenhaus Wolgast einfach spitze. Alle sind unheimlich lieb, freundlich und zugewandt und haben immer ein offenes Ohr für Fragen und Probleme. Die Hierarchien sind ziemlich flach. Auch der Chef ist unheimlich nahbar und bemüht, dass seine PJler eine gute Zeit haben und viel lernen (ganz und gar nicht wie man sich den typischen chirurgischen Chef vorstellt). Hierzu eine Situation, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist: Als eine Hüfte mit zwei Oberärzten und einem PJler gemacht wurde, hat der Chef das Bein gehalten, damit der PJler mehr sehen und assistieren konnte. Ebenfalls ist er sehr entspannt, was Fehltage angeht. Als wir vier PJler waren haben wir uns Wochenend-Bereitschaftsdienste aufgeteilt und pro gemachtes Wochenende 4 freie Tage zusätzlich erarbeitet. Auch ist es kein Problem mal ein paar Tage/ Wochen Urlaub zu nehmen.
Die Arbeitszeiten sind von 7.00 bis 15.30 (offiziell). Allerdings kam es bei mir öfter vor, dass OPs länger dauerten und sich mein Feierabend nach hinten verschoben hat, was aber wiederum großzügig mit freien Tagen ausgeglichen wurde.
Generelles zum Krankenhaus: es ist sehr klein und recht unorganisiert, an den meisten Computern funktioniert das Internet nicht (aber das Patienten WLAN dafür gut) und es basiert sehr viel auf Papierakten und Fax...
Was aber sehr gut klappt ist die Organisation der Unterkunft. Eine Mitarbeiterin kümmert sich um die Vergabe der kostenlosen Wohnheimzimmer, welche mittlerweile großteils renoviert und groß, hell und mit eigenem Badezimmer, Fernseher und Kühlschrank ausgestattet sind. Das leben im Wohnheim war sehr gesellig, da dort auch viele andere PJler (in der Regel auch von weiter weg) und auch sehr viele junge Pflegekräfte wohnen. Ebenfalls gibt es ein Beachvolleyballfeld ganz nah am Wohnheim, wo im Sommer abends viel mit den anderen Bewohnern Volleyball gespielt wird. (Es gibt aber kein WLAN im Wohnheim, angeblich würde man aber daran arbeiten).
Usedom und die Ostsee vor der Tür zu haben ist natürlich ein absolutes Highlight und sicher auch ausschlaggebend für die Auswahl des PJ Ortes :-)
Insgesamt war mein Chirurgie Tertial, obwohl ich sicher bin keine Chirurgin werden zu wollen, wirklich klasse und ich kann das Tertial in Wolgast jedem empfehlen, der günstig einfach mal eine Zeit dort leben will, wo andere Urlaub machen :-)
Bewerbung
Belegung über das PJ Portal
Falls der PJ Beauftragte des Krankenhauses nur sehr schleppend oder gar nicht auf Mails antwortet, lohnt es sich mal die jeweiligen Chefärzt:innen anzuschreiben oder einfach mal anzurufen.