Mein Tertial in Chur war ein zweischneidiges Schwert. Um das Lesen einer langen Bewertung zu erleichtern: Ich würde es auf keinen Fall weiterempfehlen und bin über die teilweise positiven Bewertungen überrascht und kann diese nicht nachvollziehen.
Insgesamt war ich 13 Wochen in Chur, davon 1 Monat Notfall, 1 Monat Ortho, 1 Monat ACH und 1 Woche im Perioperativen Mangaement.
Das Positive – wie in der Schule früher- zuerst:
Das Kantonspital Graubünden (KSGR) ist an sich wirklich sehr gut organisiert. Es gibt einen Einführungstag, jeder PJtler hat sein Telefon, Zugänge für die IT die sofort funktionieren, Dienstpläne werden direkt am Anfang ausgeteilt, auf den Stationen hat man seinen eigenen Arbeitsplatz mit 2 Bildschirmen etc. Hier werden die Vorurteile der Schweiz als gelobtes Land bestätigt.
Die PJ-Beauftragte ist per Mail immer zu erreichen. Man weiss eig. von Tag eins wo man am ersten richtigen Arbeitstag hinmuss, wer der Ansprechpartner ist und man wird am Anfang an die Hand genommen.
Die Stimmung im Team ist überall auf Station und im OP wirklich ausserordentlich kollegial und gut. Die Hierarchien sind sehr flach, alle duzen sich.
Was mich rückblickend am stärksten beeindruckt hat, ist die Qualität der Pflege. Die haben einen unfassbar guten Patientenschlüssel. Zugänge, Flexülen, Anrufe beim Hausarzt, Rehaplätze organisieren läuft alles über die Schwestern. Darüber hinaus sind die fachlich wirklich top und man kann echt was von denen mitnehmen.
Mein persönliches Highlight und Lichtblick des Tertials waren die anderen UHUs inklusive das Fontana-Wohnheim. Es gibt insgesamt drei verschiedene Unterbringungsmöglichkeiten: Haus Lichtenstein (Haus mit mehreren Wohnungen, die jeweils bis zu 5 Zimmer haben und das klassische WG-Leben ermöglichen), das Schwesternwohnheim (eig nicht für UHUs) und das Fontana. Hier sind die meisten untergebracht und es erinnert eher an eine Jugendherberge mit grosser Terrasse, 2 Küchen und Klo/Dusche auf dem Gang.
Ich hatte das Glück, dass zu meiner Zeit viele sozial motivierte PJtler anwesend waren. Wir haben jeden Tag was zusammen unternommen und konnten jeden Abend Zusammensitzen, Biertrinken und Sportmachen. Am Wochenende war immer Party und Wandern/Schwimmen/Ausflüge angesagt. Dieser Aspekt des sozialen Zusammenwohnens war ein dicker Pluspunkt für Chur und DER Grund warum ich hier ne tolle Zeit hatte und das Tertial nicht missen wollen würde.
Ist aber natürlich nicht für alle Tertiale übertragbar.
Jetzt Zum Negativen (CAVE lange Liste Incoming):
Diese Liste ist leider sehr lang und ich habe mir echt lange überlegen müssen, was und wie ich alles verpacken soll.
Notfallrotataion:
Während der Notfallrotation ist man in einem festen Rotationsplan eingebunden: 3 x Früh, 3 x Spät, 1 x frei, 3x Nächte, 2x frei. Heisst man hat eigentlich ne 6 Tage Woche und arbeitet mehr als 50 Stunden die Woche (Überstunden werden nicht bezahlt und das wird vorher auch nicht kommuniziert). Hatte das in nem alten PJ-Bericht gelesen und mich telefonisch beim KSGR gemeldet als ich den Vertrag über die 50 Stunden vorliegen hatte. Da hiess es dann VOR dem Tertia das würde nicht stimmen und man hätte freie Wochenenden. Kaum in Chur angekommen: Pustekuchen!
CAVE: Für Nächte kriegt man keine Bezahlung und keine Kompensation. Das heisst richtig fei hat man während der 4 Wochen nur an 6 Tagen, wo kein anderer frei hat. Das wird einem vorher nicht vermittelt und steht auf NICHT im Vertrag. Dadurch sind mir 5 Wochenenden flöten gegangen. In den Nächten ist man gleichzeitig Picket für den OP und man wird für die Ops reingerufen. Ist bei mir tatsächlich nie passiert, aber gut und erholsam schlafen tut man trotzdem nicht.
Die neuen UHUs wurden alle 7-8 Wochen auf dem Notfall eingeteilt. Heisst die haben die Hälfte des Tertials keine geregelten Wochenenden.
Leider gibt es im KSGR keine Einheitliche Standards was die Dokumentation angeht. Das führt dazu, das jeder Oberarzt/AA sein eigenes Süppchen kocht. Als Uhu ist das wahnsinnig mühsam, da man es jeden Tag andres machen muss. Sowas kennt man zwar in anderen Häusern auch, aber hier ist es wirklich extrem.
Der Lerneffekt ist hierdurch durchwachsen, da man am einen Tag erklärt bekommt wieso das, was man am letzten erklärt bekommen hat, nicht richtig/unnötig/ineffizient ist.
Die AAs taten mir zwischenzeitlich echt leid, weil sie zu wahnsinnig unselbständigem Arbeiten erzogen werden und sie kaum bis selten eigene Entscheidungen treffen können/wollen/dürfen.
Sie machen keine Sonos, Repositionen werden nur durch Fachärzte gemacht, Röntgenbilder werden nicht selber befundet, (alles durch Radiologen - selbst ein einfacher Radius!). Ganz wenige bestimmen ein Procedere ohne auf das finale Resultat vom Radiologen zu warten.
Alles was über eine Schnittwunde hinausgeht muss mit dem OA rückbesprochen werden. Die ganzen Prozesse ziehen sich unfassbar lange und man hängt teilweise mehrere Stunden an einem "leichten" Patienten. Ich habe in meiner ganzen Studentenzeit noch nie so eine quälend langsame Ambulanz erlebt, wo Entscheidungen so lange dauern.
Ich hatte noch Glück und war recht oft mit einer Aä eingeteilt, die mich einigermassen viel hat machen lassen. Sie war fachlich fit, hat nicht immer auf den OA gewartet und konnte mir recht viel erklären.
Eine Sache hätte ich gerne vorher gewusst: es: in der Schweiz haben evidenzbasierte nationale Leitlinien einen sehr sehr geringen Stellungswert. Dadurch ist die Behandlung teilweise wahnsinnig stark von dem abweichend, was wir fürs M2/M3 lernen. Das ist natürlich grundsätzlich kein Problem und ich hätte gern einen neuen Weg oder andere Optionen gelernt.
Die Realität sah dann so aus, dass viele fachliche Frage zum (mir neunen nicht Leitliniengerechten) Procedere/Behandlung in der Regel mit: Wir machen das halt so/mein OA will das so kommentiert werden und es keine genauere Begründung dazu gibt. Genaueres Nachhaken beim OA zu Studien und Erläuterungen wurde in der Regel mit schwammigen Erklärungen abgetan. Es gibt auch keine KSGR-Internen Standarts nach denen man vorgehen könnte. Jeder OA macht da sein Ding. Für das M3 ist das eher ungünstig…
Böse Zungen würden sagen, hier wird in den meisten Fällen (Oberarzt)emienzbasierte Medizin betrieben.
Zusammenfassend kann ich zu meiner Notfallzeit sagen, dass ich grösstenteils gelangweilt und unterfordert gewesen bin. Zeitspannen von 3 – 4 Stunden ohne Patienten in der chirurgischen Ambulanz waren keine Seltenheit. Die Arbeit als UHU beschränkt sich grösstenteils auf das Sekretärsein des AA. Wenn man Chirurgie machen will, mehr lernen will oder hier schon etwas Vorerfahrung ist der Notfall eher ein Reinfall.
Mein Lerneffekt auf dem Notfall: Naja. Rückblickend kann ich guten Gewissens sagen: ich hab in meiner Notaufnahmenfamulatur mehr gelernt.
Wenn man keine chirurgische Vorerfahrung hat, ist es wahrscheinlich ganz nett. Man kann Nähen üben, mal nen Katheter legen, und die Grundbasics der Chirurgie in einem wirklich stressfreien Umfeld mitnehmen.
4 Wochen AC:
Ich kann gar nicht in Worte fassen wie unfassbar nervig diese Zeit war. Man hat ungelogen keine Aufgaben. Meine AAs hatten im Schnitt 3 – 5 Patienten am Tag pro Station. Visite in 15 Minuten erledigt, 1 Brief schreiben und um 9:30 war meistens Schicht im Schacht auf Station (Pausenzeiten und 2 Kaffee inklusive).
Im Saal ist man nur nettes Beiwerk und man wird nicht wirklich gebraucht. Gefühlt wäre jede OP auch entspannt ohne 2 Assistenz gegangen. Bei den Laparoskopien kann man steril zugucken und macht original nichts. Eingeteilt wird trotzdem. Oft bin ich nach den OPs aus dem Saal gegangen und hab mich gefragt: Was hast du die letzten 3 Stunden gemacht? Ich habe kaum bis selten wirklich einen Haken in die Hand gedrückt bekommen und war dann in der Regel meist nur körperlich anwesend. Was man den Operateuren zu Gute halten muss: Sie probieren wenigstens etwas theoretisches Teaching nebenbei zu machen.
Im Op dürfen die Aas meist selber nicht zunähen, sondern müssen die Fäden schneiden. Als Uhu hat man die Ehre zuzugucken und den Pat. Am Ende aus zu schleusen. Ich hatte eig jeden Tag um 12:30 – 13:30 Feierabend und das nur, weil ich 3 Kaffeepausen gemacht hab. Für mein Sozialleben war es gut, für meinen Wissenszuwachs einfach katastrophal. In jeder Famulatur hatte ich mehr zu tun und mehr Aufgaben. Die grösste Herausforderung auf dieser Station ist einfach die Langeweile.
4 Wochen Ortho:
Hier hat man zwar mehr feste Aufgaben als in der AC, aber die sind auf Röntgen anmelden, Bilder ausdrucken und Physio anmelden beschränkt. Im Schnitt ist ab 10:00 nichts mehr zu tun. Was cool an der Ortho ist: man ist hier immer zu zweit eingeteilt und kann dann zusammen im Arztzimmer chillen. Die Aas sind nie da weil sie entweder in der Sprechstunde oder im OP sind.
Im Op war die Stimmung stark davon abhängig, wer Operateur war. Bei der einen Hälfte war es entspannt und bei der anderen wurde man nicht mal mit einem Blick beehrt wenn man Guten Morgen gesagt hat. Spannend war es mal zu sehen, wie ein Orthosaal laufen kann, wenn kein/kaum finanzieller Druck besteht. Mehr wie 2 Knie sind eig. nie möglich, weil alles ewig dauert. (Ne einfache Hüfte ohne Komplikationen von 3 Stunden sind keine Seltenheit ) In den vier Wochen durfte der 5 Jahres-Assistenzarzt mal den Hautschnitt und die ersten Präparationen machen. Zunähen dürfen selbst die nur kaum/nie.
Hier ist man bis auf wenige Ausnahmen nur der Beinhalter/Hakenhalter und soll möglichst viel schweigen. Fachliche Fragen waren nicht erwünscht, wurden einfach mit Schweigen beantwortet. Eine der Klassischen Aufgaben als Ortho UHU: Bei den Spondys ist man 7 Stunden im Saal um daneben zu stehen und dann gegen Ende in 10 Minuten die Knochen zu mahlen. Mehr kann man man nicht machen.
In einer früheren Bewertung wird die Ortho mal mit Lernzuwachs Null und absolut sinnlos beschrieben. Finde die Bewertung sehr zutreffend, da man null in die Abläufe oder Besprechungen eingebunden wird. Ich hab am Ende des Tertials erfahren, dass wohl jede Woche eine Konferenz gibt, in der die ganze nächste Woche besprochen werden. Uhus sind hier nicht erwünscht!
1 Woche POA:
Die Aufgabe: elektive Patienten vorher einmal grob untersuchung, die Berichte anlegen, Verordnungen anlegen. Kurzgesagt: man ist Sekretär. Im Anschluss kurze Übergabe an den Anästhesisten und den AA. Im Schnitt hat man so 3-6 Patienten. Zwischen den einzelnen Pat. Immer ne Stunde oder länger Pause. Hier empfehle ich jedem eine Heparin Prophylaxe für die Arbeit!
Hier konnte ich nebenbei lernen/private Sachen erledigen/ Serien gucken etc.
Zusammenfassung: Klare Absage an alle hier das Tertial zu absolvieren! Wer was lernen will ist hier definitv völlig fehl am Platz. Wer chillen will ist durch die Notfallzeit nicht an wirklich vielen Wochenenden frei. Ich hab nochmal die alten Bewertungen gelesenen und kann einfach nicht nachvollziehen, wie man hier ne 1 oder 2 als Bewertung hinterlassen kann.
Dazu: Mit circa 650 CHF wirklich schlechte bezahlung im Vergelich zuvielen anderen Spitälern in der Schweiz. Kein Kompenstion für Nachdienste.